Full text: Tagebuchblätter. Dritter Band. (3)

20 Siebenundzwanzigstes Kapitel 17. Febr. 1881 
Nationalliberalen fühlten sich mehr zu Kritikern als zu Mitschöpfern 
berufen, und sie gewöhnten sich mehr und mehr zu ihrer angeblichen 
Aufgabe, Wächter der vermeintlich bedrohten Freiheit zu sein, zurück, 
sodaß sie bisweilen von der Fortschrittspartei kaum zu unterscheiden 
waren, ja in manchen Beziehungen den Anschauungen und der Rede— 
weise des Zentrums sich näherten. 
„Inzwischen waren die Pläne des Kanzlers zur Umgestaltung 
der wirtschaftlichen Einrichtungen des Reiches gereift, die auf Ver— 
mehrung der Einnahmen des letztern aus den Zöllen und indirekten 
Steuern, auf die Unterstützung der Industrie und Landwirtschaft 
gegen die Konkurrenz des Auslandes und auf die Erleichterung der 
mit direkten Steuern schwer belasteten Kommunen sowie der Mittel— 
klassen der Bevölkerung hinausliefen. Zu diesem Zwecke suchte Fürst 
Bismarck sich den Beistand der Nationalliberalen zu verschaffen, 
die dafür einige Ministerposten haben sollten. Im Spätherbst von 
1877 verhandelte er darüber mit Herrn von Bennigsen, dem Führer 
des rechten Flügels der Partei. Bennigsen konnte oder wollte sich 
nicht allein entscheiden. Er nahm die Vorschläge des Kanzlers 
einfach entgegen, um sich darüber mit den Parteifreunden zu be— 
sprechen. Dies geschah, und einige Tage nachher wurde von den 
Blättern der Nationalliberalen die Parole »konstitutionelle 
Garantien« ausgegeben. Es war ein Handelsgeschäft, das offen— 
bar von Herrn Lasker angeraten war, der schon 1873 mit der Bemer— 
kung, daß man auch endlich »Volksrechte« verlangen und gewähren 
müsse, ein Preßgesetz nach seinem Geschmacke gefordert hatte, damit 
aber vom Kanzler dahin beschieden worden war, das Volk seien 
wir alle, nicht bloß die liberal genannte, aber nicht immer wirklich 
liberale Partei. Jetzt, wo man mehr begehrt, als notwendig und 
unumgänglich erschien, war, wie Herr Lasker meinte, die Zeit ge- 
kommen, diese günstige Konstellation auszunutzen und der Regie- 
rung abzudrücken, was man wünschte. Über die konstitutionellen 
Garantien, die man sich gegen die Zusage der Unterstützung des 
Reichskanzlers bei der Ausführung seiner Pläne einzuhandeln ge- 
dachte, herrschte in der Partei freilich keine Ubereinstimmung. Aber 
daß man solche Bürgschaften in Anspruch nahm, war der deutlichste 
Ausdruck des nie ganz geschwundnen und vom linken Flügel wieder- 
holt schon geäußerten Gefühls, daß man in dem Kanzler nicht
	        
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