Full text: Tagebuchblätter. Dritter Band. (3)

556 Die Kriegswochen von 1866 in Leipzig 
Je eher und je deutlicher man von Preußen her merken läßt, 
daß der Renitenz des Partikularismus die Daumenschraube schon 
geschmiedet ist, je eher man der Trägheit der Gleichgiltigen zeigt, 
daß sie sich regen muß, und zwar auf der richtigen Seite regen 
muß, wenn ihr nicht der Brotkorb höher gehängt werden soll, desto 
eher kann man auf eine zahlreich besuchte und verständige Landes— 
versammlung und einen gefügigen Landtag hoffen. Ohne dieses 
Mittel werden die verehrten Herren in Glauchau nichts als die Zu— 
sammenkunft einiger bekannter, weil sehr rühriger Advokaten und 
Stadtverordneten sein, der hohe Landtag — gleichviel, ob nach dem 
jetzigen oder dem frühern Wahlgesetze zusammengetreten — nur die 
alte selbstgefällige Krähwinkelei und die alte politische Dekrepidität 
repräsentieren. 
Dienstag, 14. August. Die Wolkenschicht im Westen — 
Saarlouis, Saarbrücken und das Land zwischen Saar und Lauter, 
also mehr bayrisches als preußisches Gebiet, sollten, wie es zuletzt 
hieß, von Napoleon beansprucht worden seien — scheint wirklich nur 
Meilerrauch gewesen zu sein. Hat man das Verlangen gestellt, so 
hat man sich bei der selbstverständlichen Ablehnung der Sache be— 
ruhigt. Die guten Beziehungen zwischen Preußen und Frankreich 
sind nicht gestört. Angenehm! Das Verbot der Treitschkischen 
Schrift ist von Herrn von Wurmb in der That aufgehoben worden, 
die Leipziger Behörde aber hat die bezügliche Anordnung noch 
nicht auszuführen beliebt. Eine Ermunterung dazu würde auch an— 
genehm sein. 
Die Beunruhigung, die vorgestern jenseits des Rheins aufstieg, 
hat übrigens unsern Preußenfeinden den Kamm gewaltig wieder 
schwellen lassen, und sie wird hier nachwirken, bis eine neue Illusion 
sie ablöst. Jede Enttäuschung wird ohne Verzug durch eine andre 
möglichst thörichte Hoffnung ersetzt werden, bis endlich Thatsachen 
eintreten, die nicht mißzuverstehen sind, und um die man mit keiner 
Wendung herumkommt. Gestern brachte die Eisenbahn zwei Batterien, 
ich glaube eine vier- und eine sechspfündige, und gleich hieß es: 
„Die gehen an den Rhein, der Franzose ist eingebrochen.“ Um die— 
selbe Zeit ungefähr trafen schwarze Husaren aus Schneidemühl ein, 
und natürlich waren sie ebenfalls gegen Napoleons Zuaven und 
Chasseurs bestimmt. Sollte mich wundern, wenn nun nicht schon
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.