15. August Drittes Kapitel 77
dieser Gegend von Lothringen. Beide sollten wenig guten Willen
zeigen, wovon ich indes nichts bemerkt habe. Auch der Minister
wußte davon nichts. Er hatte vor unserm Eintreffen nur mit dem
Manne verkehrt, und der war „nicht übel. Er fragte mich — so
erzählte er weiter —, als er mir das Essen brachte, ob ich nicht
einmal seinen Wein versuchen wollte. Als ich ihn dann dafür be-
zahlen wollte, nahm er für den Wein, der übrigens recht trinkbar
war, nichts, sondern bloß für das Essen. Er erkundigte sich nach
der zukünftigen Grenze und meinte, mit den Steuern würden sie
dann wohl etwas besser dran sein."“
Von den übrigen Leuten im Dorfe war wenig zu sehen. Die,
die man traf, waren höflich und mitteilsam. Eine alte Bauern-
frau, von der ich mir in ihrem Hause Feuer für meine Cigarre
geben ließ, führte mich in ihre Stube und zeigte mir an der Wand
eine Photographie ihres Sohnes, der französische Uniform trug.
Weinend klagte sie den Kaiser wegen des Krieges an. Ihr pauyre
garcon wäre gewiß schon tot, meinte sie und wollte sich nicht
trösten lassen.
Nach drei Uhr kamen unfre Reiter zurück, etwas später auch
der Minister. Inzwischen hatten sich Graf Henckel, ein stattlicher
Herr mit dunkelm Barte, und der Reichstagsabgeordnete Bamberger,
der „rote Jude,“ wie Bohlen ihn zu nennen pflegt, bei uns eingestellt,
desgleichen ein Herr von Olberg, der Präfekt oder etwas der Art
werden sollte. Wir fingen also an, uns als Herren des eroberten
Landes zu fühlen und uns darin einzurichten. Wieviel davon als
bleibender Besitz für jetzt ins Auge gefaßt war, hatte mir am
Morgen schon ein nach Petersburg bestimmtes Telegramm ge-
sagt, bei dessen Chiffrierung ich behilflich gewesen war, und worin
1 „Dr. Ludwig Bamberger, eine in Rheinhessen sehr angesehene politische
Persönlichkeit von stark nationalliberaler Färbung, den der Minister [Bismarck!
zu politischen Einwirkungen, wozu er sehr nützlich sein kann, mitgenommen hat,“
sagt Abeken S. 383, Homburg vorm Wald, Montag den 8. August 1870,
morgens. Abeken war dort mit ihm „bei einer Judenfamilie einquartiert.“ Bam-
berger war schon am 2. August in Mainz bei Bismarck zu Tische, s. H. Poschinger,
Neue Tischgespräche und Interviews II, 47. Fürst Bismarck und die Parla-
mentarier I, 47. 48.