Full text: Tagebuchblätter. Erster Band. (1)

22. August Drittes Kapitel 95 
nach Berlin wegen Einziehung einer Anzahl kleiner Telegraphen- 
stationen, deren Beamte wir im Felde brauchen. 
Es ist jetzt kein Zweifel mehr, daß wir im Falle einer end- 
giltigen Besiegung Frankreichs das Elsaß und Metz mit seiner 
Umgebung behalten werden, und zwar ist der Gedankengang, der 
den Kanzler zu diesem Entschlusse führte, und der in der englischen 
Presse „in akademischer Weise“ entwickelt werden soll, etwa folgender: 
Eine Kontribution würde, wenn sie auch noch so groß wäre, 
die von uns gebrachten ungeheuern Opfer nicht ausgleichen. Wir 
müssen namentlich Süddeutschland mit seiner offnen Lage besser 
vor französischen Angriffen sichern, wir müssen dem Druck, den 
Frankreich seit zwei Jahrhunderten auf Süddeutschland übt, ein Ende 
machen, zumal da dieser Druck zur Zerrüttung der deutschen Ver- 
hältnisse überhaupt in dieser ganzen Zeit wesentlich beigetragen hat. 
Baden, Württemberg und die andern südwestlichen Landstriche dürfen 
ins künftige nicht wieder von Straßburg aus bedroht sein und nach 
Belieben überfallen werden können. Auch von Bayern gilt dies.1 
Seit dritthalb Jahrhunderten haben die Franzosen mehr als ein 
Dutzend Eroberungskriege gegen den Südwesten von Deutschland 
unternommen. 1814 und 1815 hat man in schonender Behandlung 
Frankreichs Bürgschaften gegen Wiederholung solcher Friedens- 
störungen gesucht. Diese Schonung half aber nichts und würde 
auch jetzt unfruchtbar und erfolglos sein. Die Gefahr liegt in der 
unheilbaren Anmaßung und Herrschsucht, die dem französischen 
Volkscharakter innewohnen, Eigenschaften, die sich von jedem 
Herrscher — keineswegs bloß von den Bonapartes — zu Angriffen 
auf friedliche Nachbarn mißbrauchen lassen. Unser Schutz gegen 
dieses Ubel liegt nicht in fruchtlosen Versuchen, die Empfindlichkeit 
der Franzosen momentan abzuschwächen, sondern in der Gewinnung 
gut befestigter Grenzen. Frankreich hat sich durch fortgesetzte An- 
eignung deutschen Landes und aller natürlichen Schutzwehren an 
unfrer Westgrenze in den Stand gesetzt, mit einer verhältnismäßig 
nicht sehr großen Armee in das Herz von Süddeutschland vor- 
zubrechen, ehe von Norden her Hilfe da sein kann. Seit Ludwig 
  
1 Denselben Gedanken entwickelte Bismarck am 13. September 1870 dem 
Korrespondenten des Standard in Reims, s. Poschinger, Tischgespräche I, 261.
	        
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