Full text: Tagebuchblätter. Erster Band. (1)

28. August Viertes Kapitel 123 
haben den Osterreichern 1866 keinen Acker an Gebiet abgenommen, 
und haben wir gesehen, daß man uns diese Enthaltsamkeit in Wien 
gedankt hat? Ist man dort nicht voll bittrer Rachegefühle einfach 
deshalb, weil man besiegt wurde? Und mehr noch: Die Franzosen 
grollten uns schon aus Neid wegen Königgrätz, wo nicht sie ge- 
schlagen wurden, sondern eine fremde Macht; wie erst werden sie 
uns, ob wir nun großmütig auf jede Landabtretung verzichten oder 
nicht, die Siege von Wörth und Metz nachtragen, wie erst werden 
sie auf Rache für die Niederlagen sinnen, die sie selbst durch uns 
erlitten haben! 
„Ist man 1814 und 1815 anders verfahren, als wir hier an- 
deuten, so hat der Erfolg der damaligen schonenden Behandlung 
Frankreichs genügend bewiesen, daß sie eine übel angebrachte war. 
Hätte man die Franzosen in jenen Tagen so schwächen können, wie 
es im Interesse des Weltfriedens wünschenswert war, so hätten wir 
jetzt keinen Krieg zu führen brauchen. 
„Die Gefahr liegt nicht in dem Bonapartismus, obwohl er 
vorzugsweise auf chauvinistische Velleitäten angewiesen ist; sie liegt 
in der unheilbaren und untilgbaren Anmaßung desjenigen Teils 
des französischen Volkes, der für ganz Frankreich den Ton an- 
giebt. Dieser Zug des französischen Nationalcharakters, der jeder 
Dynastie, heiße sie, wie sie wolle, der selbst einer französischen 
Republik die Bahn ihres Verfahrens vorzeichnen wird, wird stets 
ein Trieb zu Angriffen auf friedliche Nachbarn sein. Die Frucht 
unsrer Siege kann nur in einer faktischen Verbesserung unsers 
Grenzschutzes gegen diesen friedlosen Nachbar bestehen. Wer in 
Europa Erleichterung der Militärlast, wer einen solchen Frieden 
will, der etwas der Art erlaubt, der muß seine Wünsche darauf 
richten, daß nicht auf moralischem, sondern auf realistischem Wege 
dem Kriegswagen der französischen Eroberungslust ein solider, halt- 
barer Damm entgegengestellt werde, mit andern Worten, daß es 
den Franzosen für die Zukunft nach Möglichkeit erschwert werde, mit 
einer vergleichsweise nicht sehr großen Heeresmacht in Süddeutsch- 
land einzufallen und durch den Gedanken an die Möglichkeit eines 
solchen Einbruchs die Süddeutschen auch im Frieden zur Rücksicht- 
nahme auf Frankreich zu zwingen. Süddeutschland durch haltbare 
Grenzen sicher zu stellen, ist unfre jetzige Aufgabe. Sie erfüllen,
	        
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