Full text: Tagebuchblätter. Erster Band. (1)

138 Fünftes Kapitel 31. August 
Zuletzt kam der Minister auf Radowitz zu reden und meinte, 
er sei mit sich noch nicht ganz im reinen, ob es dessen Unklarheit 
oder dessen verräterische Absicht gewesen sei, die Olmütz verschuldet 
habe. „Man hätte sich vor Olmütz mit der Armee eher in Positur 
setzen müssen,? und das hat Radowitz hintertrieben — sagte er —, 
ob als österreichisch-ultramontaner Jesuit oder als unpraktischer 
Träumer und Alleswisser, will ich dahingestellt sein lassen. — Statt 
an Rüstungen zu denken, beschäftigte er den König mit Verfassungs- 
kleinigkeiten, einer Wetterauer Grafenbanks und andern mittelalter- 
lichen Scherzen, mit Etikettesachen und dergleichen mehr. Einmal 
hatten wir Nachricht, daß Osterreich in Böhmen achtzigtausend 
Mann zusammenzöge und viele Pferde kaufte. Man sprach davon 
beim Könige, und Radowitz stand dabei. Plötzlich trat er mit der 
Miene des Bestunterrichteten heran und sagte mit hohen Augen- 
brauen: Osterreich hat in Böhmen 22493 Mann und 2005 Pferde. — 
Sprachs und drehte sich mit dem Bewußtsein um, dem Könige 
wieder einmal imponiert zu haben.““ 
Der König und der Kanzler waren zunächst nach der Stelle ge- 
ritten, wo die „Schleichpatrouille schwerer Artillerie“ gearbeitet hatte, 
und ich folgte ihnen, nachdem ich mit meinen Aufzeichnungen fertig 
war, zuerst dahin. Das betreffende Feldstück liegt rechts von der 
Straße, die uns hergebracht hatte, und achthundert bis tausend 
Schritte von ihr entfernt. Vor ihm, nach dem Walde der Thal- 
sohle hin, sind heckenumgebne Acker, auf denen etwa ein Dutzend 
tote deutsche Soldaten liegen — Thüringer vom 31. Regiment. 
Einer davon hängt durch den Kopf geschossen in dem Dorngesträuch, 
  
24. Dezember, S. 234 f., und Gedanken und Erinnerungen I, 93ff. 283. 312ff. 
II, 1 ff. und 147. Goltz war weder mit der russisch-preußischen Februarkon- 
vention 1863 noch mit Bismarcks schleswigs-holsteinischer Politik einverstanden 
Gesandter war er in Athen seit 1856, in Konstantinopel seit 1859, dann Bismarcks 
Nachfolger in Petersburg und Paris. 
1 G. u. E. I, 64/5. 95. 
2 G. u. E. I, 62 ff. 68 ff. 76. 237/8. 
3 G. u. E. I, 45. 59. 60. 62. 
4 Ganz dasselbe Urteil fällt Bismarck über Radowitz in den Gedanken und 
Erinnerungen I1, 64 ff., nur verlegt er dort die Szene in eine von dem General 
von Pfeil geladne Gesellschaft während des Unionsparlaments in Erfurt. Die 
Antwort kann ja Radowitz allerdings auch beim Könige gegeben haben.
	        
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