Full text: Tagebuchblätter. Erster Band. (1)

31. August Fünftes Kapitel 143 
Sie konnte mich kaum ansehen. Aber sie ist jetzt wohl ruhiger ge- 
worden. Einmal bat sie mich um ein Glas Wasser, und als ichs 
ihr brachte, sagte sie zu der neben ihr sitzenden — (einer Hofdame, 
glaube ich, deren Name mir entfallen ist): ? So viel Wasser in 
diesem Glase ist, so viel Thränen hat der mich schon gekostet. Aber 
ich denke, das ist jetzt vorbei." 
Zuletzt gelangte man aus der Sphäre der Götter über den 
Wolken wieder zu Menschen, aus dem Bereich des Über= oder, 
wenn man will, Außernatürlichen zur Natur zurück und stieß da, 
nachdem ich der koburgisch-belgisch-englischen Beziehungen erwähnt 
hatte, auf den Augustenburger in seiner bayrischen Uniform. „Der hätte 
es besser haben können,“ versetzte der Kanzler. „Ich wollte ur- 
sprünglich nicht mehr von ihm, als was die kleinen Fürsten 1866 
abtreten mußten. Er aber wollte (dank der göttlichen Fügung, 
dachte ich im stillen, und dank der Samwerschen Advokaten- 
weisheit!) gar nichts hergeben. Ich erinnere mich: bei der Unter- 
redung, die ich 1864 mit ihm hatte — es war bei uns im Billard- 
zimmer vor meiner Stube und dauerte bis in die Nacht —, da 
nannte ich ihn zuerst Hoheit und war überhaupt artig. Als ich 
ihm aber dann vom Kieler Hafen sprach, den wir brauchten, und 
er sagte, das könnte ja wohl gar eine Quadratmeile betragen, was 
ich ihm allerdings bejahen mußte, vielleicht sogar mehrere Meilen, 
und als er von unsern Forderungen wegen des Militärs auch nichts 
wissen mochte, nahm ich ein andres Gesicht an. Ich titulierte ihn 
jetzt Durchlaucht und sagte ihm zuletzt ganz kühl — plattdeutsch —, 
daß wir dem Kücken, das wir ausgebrütet hätten, auch den Hals 
umdrehn könnten. Er hat mir übrigens neulich beim Frühstück 
in Ligny meuchlings eine Hand abgeschwindelt. Ich kannte den 
bayrischen General nicht, sonst wäre ich ihm aus dem Wege ge- 
gangen. Aber ich lasse mir meine Hand bei Gelegenheit von ihm 
wiedergeben.“!1 
Nach ungewöhnlich langer Fahrt, erst gegen sieben Uhr abends, 
kamen wir über Berg und Thal nach unserm diesmaligen Be- 
stimmungsorte, dem Städtchen oder Flecken Vendresse. Unter- 
wegs wurden verschiedne große Dörfer, auch ein paar Schlösser, 
  
1 Vgl. G. u. E. II, 28 ff.
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.