Full text: Tagebuchblätter. Erster Band. (1)

1. September Sechstes Kapitel 149 
Telegramme erhalten, kam und gab mir deren sechs zu dechiffrieren, 
sodaß das Zuschauen für mich einstweilen ein Ende nahm. 
Ich ging zu den Wagen hinunter und fand hier unter dem 
aufgespannten Wagendache in Graf Hatzfeldt einen Gefährten, 
der ebenfalls in die Lage versetzt worden war, das Nützliche mit 
dem Angenehmen zu verbinden, der dem Wechsel der Situation aber 
weniger Befriedigung abgewinnen zu können schien. Der Chef hatte 
ihm einen vier Seiten langen französischen Brief, der von unsern 
Truppen aufgefangen worden war, zu sofortigem Abschreiben gegeben. 
Ich bestieg den Kutschbock, nahm den mitgebrachten Chiffre und 
meinen Bleistift und machte mich ans Entziffern, während die 
Schlacht jenseits unsrer Höhe wie ein halb Dutzend Gewitter brüllte. 
Im Eifer, rasch fertig zu werden, wurde ich dabei nicht einmal 
gewahr, daß die stechende Sonne der Mittagsstunde mir das eine 
Ohr mit Brandblasen bedeckte. Das erste übersetzte Telegramm 
sandte ich dem Minister mit Engel, der auch etwas von der Schlacht 
sehen sollte, hinauf, die nächsten beiden überbrachte ich ihm selbst, 
da — sehr nach dem Geschmack meiner Schaulust — auf die letzten 
drei der Chiffre nicht paßte. Wahrscheinlich war dabei nicht viel 
verloren; denn der Chef meinte, es würden wohl nur Empfangs- 
bescheinigungen sein. 
So war es ein Uhr geworden. Unfre Feuerlinie umfaßte 
jetzt die größere Hälfte der feindlichen Stellung auf dem Höhen- 
zuge jenseits der Stadt. In weitem Bogen stiegen Wolken von 
Pulverdampf auf und erschienen und zersprangen die wohlbekannten 
weißen Nebelkugeln der Shrapnells; nur links war noch immer 
eine stille Lücke. Der Kanzler saß jetzt auf einem Stuhle und 
studierte ein mehrere Bogen starkes Aktenstück. Ich fragte, ob er 
etwas zu essen oder zu trinken wünsche, wir wären damit ver- 
sehen. Er lehnte ab: „Ich möchte wohl, aber der König hat auch 
nichts,“ erwiderte er. 1 
Die Gegner drüben über dem Flusse mußten sich nun sehr 
  
1 Ubrigens gab der König zwischen drei und vier Uhr während einer Ruhe- 
pause, als die Schlacht schon entschieden war, seiner Umgebung ein Frühstück. 
H. Poschinger, Neue Tischgespräche und Interviews I, 52 (nach Sheridans 
Erinnerungen aus dem deutsch-französischen Kriege, Leipzig, 1889, 55 f.).
	        
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