1. September Sechstes Kapitel 151
Festung, die Vorstadt Torch, die zerstörte Brücke links in der
Ferne heben sich in der Glut plastisch ab und werden mit ihren
Einzelheiten von Minute zu Minute deutlicher, wie wenn man
schärfere und immer schärfere Brillen vornähme.
Gegen fünf Uhr spricht General Hindersin mit dem Könige,
und ich glaube zu hören, daß er von „Stadt beschießen“ und
„Trümmerhaufen“ redet. Eine Viertelstunde später sprengt ein
bayrischer Offizier den Bergabhang vor uns heran: General von
Bothmer läßt dem König sagen, der General Maillinger melde,
daß er mit den Jägern in Torch stehe, daß die Franzosen kapitu-
lieren wollten, und daß man bedingungslose libergabe verlangt habe.
Der König erwidert: „Niemand kann über diese Sache unterhandeln
als ich selbst. Sagen Sie dem General, daß der Parlamentär zu
mir kommen müsse.“
Der Bayer reitet wieder ab ins Thal. Der König spricht
hierauf mit Bismarck, dann Gruppe der beiden mit dem Kron-
prinzen, der vor einiger Zeit von links heraufgekommen ist, Moltke
und Roon. Die Hoheiten von Weimar und Koburg stehen etwas
abseits auch dabei. Nach einer Weile erscheint ein preußischer
Adjutant und berichtet daß unfre Verluste, so weit sie bis jetzt zu
übersehen sind, nicht groß sind, bei der Garde mäßig, bei den Sachsen
etwas stärker, bei den übrigen engagiert gewesenen Korps geringer.
Nur kleine Abteilungen der Franzosen sind nach den Wäldern an
der belgischen Grenze entkommen, die man nach ihnen absucht. Alle
übrigen sind nach Sedan hineingedrängt.
„Und der Kaiser?" fragt der König.
„Das weiß man nicht,“ antwortet der Offizier.
Gegen sechs Uhr aber erscheint wieder ein Adjutant und meldet,
der Kaiser sei in der Stadt und werde unverzüglich einen Parla-
mentär herausschicken.
„Das ist doch ein schöner Erfolg!“1 sagt der König, sich nach
1 Ein Gerücht, daß Napoleon III. in Sedan sei, hatte Fürst Bismarck schon
vorher von französischen Gefangnen gehört und dem König gemeldet, der diese
„Tatarennachricht“ fast ärgerlich aufnahm. Bismarck aber sagte zu Fürst Putbus:
„Wenn es wahr ist, so ist der Friedensschluß in weite Ferne gerückt.“ Poschinger
a. a. O. I, 52 f.