2. September Sechstes Kapitel 153
nach Vendresse.! Der Chef, Graf Bismarck-Bohlen und ich fuhren
nach dem Städtchen Donchery, wo wir bei völliger Dunkelheit
ankamen und in dem Hause eines Doktors Jeanjot Quartier fanden.
Der Ort war voll württembergische Soldaten, die auf dem Markte
lagerten. Der Grund, weshalb wir hierher ablenkten, war ein
Arrangement, nach dem der Kanzler mit Moltke an diesem
Abend noch französische Bevollmächtigte treffen sollte, mit denen
man sich über die Bedingungen der Kapitulation der in Sedan
eingeschlossenen vier französischen Armeekorps zu verständigen ver-
suchen wollte.
Ich schlief hier in einem kleinen Alkoven neben dem Hinter-
zimmer der ersten Etage Wand an Wand mit dem Kanzler, der
die große Vorderstube inne hatte. Früh gegen sechs Uhr weckten
mich hastige Tritte. Ich hörte, daß Engel sagte: „Exzellenz, s
ist ein französischer General da, unten vor der Thürs; ich verstehe
nicht, was er will.“ Darauf scheint der Minister rasch aufgestanden
zu sein und aus dem Fenster mit dem Franzosen — es war wieder
der General Reille — kurz verhandelt zu haben. Die Folge war,
daß er sich hastig anzog, sich, wie er gestern gekommen war, ohne
zu frühstücken zu Pferde setzte und eiligst davon ritt. Ich ging
schnell in sein Zimmer und ans Fenster, um zu sehen, in welcher
Richtung er sich entfernte. Er trabte auf den Markt zu. In der
Stube war alles in Unordnung umhergeworfen. Am Boden lagen
die „Täglichen Losungen und Lehrtexte der Brüdergemeinde für
1870,“ auf dem Nachttischchen befand sich ein andres Andachts-
buch: „Die tägliche Erquickung für gläubige Christen“ — Schriften,
in denen der Kanzler, wie Engel sagte, des Nachts zu lesen pflegte.
Eilig fuhr ich nun ebenfalls in die Kleider, und nachdem ich
unten in Erfahrung gebracht hatte, daß der Graf nach Sedan zu
1 Abeken S. 404: „Eben um neun Uhr ist der König zurückgekommen, der
Minister aber nicht und hat uns sagen lassen, wir möchten gleich nach Donchery
nachkommen.“ Beim Souper konnte A. noch dem König zum Siege gratulieren,
„dann fuhren wir in der Nacht hierher (Donchery), fanden den Minister natürlich
schlafend, Graf Hatzfeldt aber mit der französischen Übersetzung der Kapitulations-
bedingungen für die Armee beschäftigt und gingen selbst zur Ruhe.“ (Donchery)
3. September morgens.