2. September Sechstes Kapitel 155
Kanzlers verglich.! Napoleon sah abgespannt, aber nicht sehr
niedergeschlagen aus, auch nicht so alt, als ich mir ihn vorgestellt
hatte, er hätte ein leidlich konservierter Fünfziger sein können.
Nach einer Weile ging er auf den Chef zu und sprach ungefähr
drei Minuten mit ihm, worauf er wieder allein, rauchend, die
Hände auf dem Rücken an dem weißblühenden Kartoffelfelde hin
und her wandelte. Dann nochmals kurze Besprechung zwischen dem
Kanzler und dem Kaiser, die der Kanzler begann, und nach der
sich Napoleon wieder mit seiner französischen Begleitung unterhielt.
Gegen drei Viertel auf neun Uhr entfernten sich Bismarck und sein
Vetter in der Richtung nach Donchery, wohin ich ihnen folgte.?
Der Minister erzählte zu wiederholten malen von den Vor-
gängen dieses Morgens und des vorhergegangnen Abends. Ich
verbinde diese verschiednen Mitteilungen in folgendem überall sinn-
getreu, großenteils wortgetreu zu einem Ganzen.
„Moltke und ich waren nach der Schlacht vom 1. September
zum Zweck von Unterhandlungen mit den Franzosen nach Donchery,
ungefähr fünf Kilometer von Sedan, gegangen und die Nacht dort
geblieben, während der König und das Hauptquartier nach Vendresse
zurückkehrten. Die Verhandlungen dauerten bis nach Mitternacht,
ohne zum Abschluß zu kommen. Von uns waren außer Moltke
und mir Blumenthal und drei oder vier andre Generalstabsoffiziere
dabei.
„Für die Franzosen führte der General Wimpffen das Wort.
1 „Der Kaiser erschien mir klein, etwas korpulent, erdfahl, das Kinn auf
der Brust ruhend, dabei sah er äußerlich ruhig, fast gleichgiltig aus, nur dann
und wann zeigte ein leises Aufatmen die innere Bewegung.“ Verdy 155.
*: Auch Abeken war Zeuge des Zusammentreffens. S. 405, Donchery,
Sonnabend, den 3. September 1870 morgens: „Am Freitag, den 2. September,
morgens wurden wir geweckt mit der Nachricht, der Minister sei fortgeritten nach
Sedan, kurz darauf skam] die Meldung, der Kaiser sei hier, nahe vor dem Orte
in einem Gehöft. Ich eilte hinaus und habe wirklich das unvergeßliche Schauspiel
gehabt, die Entrevue zwischen Bismarck und dem Kaiser Napoleon zu sehen vor
einem Bauernhause im Freien; wie die hohe Gestalt des Ministers sich zu dem
Kaiser hinabbeugte; es war ein eigentümlicher Moment, dem ich nur mit wenigen
Generalstabsoffizieren mit beiwohnte.“ Dies waren außer Moltke von Podbielski,
Verdy du Vernois u. a., die übrigens erst einige Zeit nach Bismarck ankamen;
Verdy 153.