Full text: Tagebuchblätter. Erster Band. (1)

170 Siebentes Kapitel 4. September 
Leuten „säuberlich Haus für Haus angesteckt worden,“ und man 
habe 35 Bauern nebst jener Frau gehenkt.) 
Keudell berichtet, daß er den Hofrat Gustav Freytag getroffen 
habe, der zwischen der Hoheit von Koburg und der Durchlaucht 
von Augustenburg mit in den Krieg gezogen ist. Er habe — über- 
flüssige, bei uns bis jetzt mit nichts Thatsächlichem zu motivierende 
Weisheit! — Zwang gegen die Süddeutschen widerraten und die 
Rückforderung gewisser von den Franzosen während des Dreißig- 
jährigen Krieges aus Heidelberg entführter Manuskripte — wohl 
der Manesseschen Sammlung mittelhochdeutscher Gedichte — befür- 
wortet. Halt, da fällt mir ein: wollte vielleicht sein hoher Gönner, 
der Kronprinz, die Bayern und Schwaben in den Nordbund zwingen? 
und hätte Freytag einmal eine abweichende Meinung gegenüber 
Seiner Königlichen Hoheit zu äußern sich unterwunden? 
Ich lasse wieder ein paar Artikel nach Deutschland abgehen, 
darunter einen über die Ergebnisse der Schlacht am 1. September. 
Diese sind seit gestern erheblich gewachsen, stufenweise wie nach 
Königgrätz: wir haben alles in allem über 90000 Rothosen zu 
Gefangnen gemacht und über 300 Geschütze, eine Menge Pferde 
und ungeheures andres Kriegsmaterial erbeutet. In ein paar Tagen 
wird es noch mehr sein; denn von der Armee Mac Mahons, die 
nach Beaumont noch auf ungefähr 120000 Mann geschätzt wurde, 
sind offenbar nicht viele Leute entkommen. 
Der Chef ist wieder im Hause der Witwe Baudelot einquartiert. 
Ich wohne diesmal nicht in der Feldpost, sondern in einer nahen 
Seitengasse bei einem ältlichen Witwer, einer guten weichen Seele, 
der mir mit Thränen den Verlust seiner pauvre petite kemme klagt, 
mir alle Gefälligkeiten erweist und mir unverlangt eigenhändig die 
Stiefel wichst. — Es heißt, daß wir morgen in der Richtung auf 
Reims zu und zunächst nach der Stadt Rethel weiter gehen. 
Rethel, 4. September, abends. Heute früh ließ mich der 
Chef, als wir noch in Vendresse waren, rufen, um mir, zuletzt wie 
diklierend, für die Zeitungen Mitteilungen über seine Begegnung 
  
*) Der wahre Sachverhalt wird weiter unten an seiner Stelle mitgeteilt 
werden. 
1 Bekanntlich waren dem Kronprinzen solche Gedanken nicht fremd.
	        
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