174 Siebentes Kapitel 5. September
Flügel neben Abeken.! Das ganze Gebäude ist, so weit ich sehen
kann, elegant möbliert. Wieder schlafe ich in einem Mahagoni—
himmelbett mit seidnen Gardinen, habe Polsterstühle, die mit rotem
Rips überzogen sind, eine Mahagonikommode mit Marmorplatte,
einen Wasch= und einen Nachttisch der Art sowie einen Marmor-
kamin im Zimmer. Auf den Straßen wimmelts von Preußen und
Württembergern. König Wilhelm hat dem Erzbischof die Ehre er-
wiesen, in dessen Palast sein Absteigequartier zu nehmen, wie früher
die Könige von Frankreich bei der Krönung. Ich höre, daß unser
Wirt der Maire von Reims ist. Keudell will wissen, das von
uns am Schlusse des Krieges zu behaltende Land würde wahr-
scheinlich nicht zu einem Einzelstaate gehören, auch nicht unter
mehrere geteilt, sondern als Besitz ganz Deutschlands eingerichtet
werden.
Abends ist der Chef bei Tische, und wir probieren, da wir
uns hier mitten zwischen den großen Champagnerfirmen des Landes
befinden, verschiedne Sorten Sekt. Dabei äußerte der Chef, daß
er sich an der königlichen Tafel gewöhnlich langweile. „Wenn sie
klein ist — bemerkte er —, sitze ich neben dem König, und da gehts.
Ist sie aber groß, so setzen sie mich etwa zwischen den bayrischen
Prinzen und den Großherzog von Weimar, und dann ist das Ge-
spräch höchst ledern."
Man erzählt, gestern sei aus einem Kaffeehause auf eine
Schwadron unfrer Husaren geschossen worden. Der Minister sagt,
dann müsse es gleich zerstört und der Besitzer vor ein Kriegsgericht
gestellt werden. Stieber solle ohne Verzug angewiesen werden, die
Sache zu untersuchen.
Der von Graf Bohlen besorgte Champagner war gut, und so
wurde ihm fleißig zugesprochen, vermutlich auch meinerseits. Der
Minister sagte: „Unser Doktor unterscheidet sich von andern Sachsen:
er trinkt nicht bloß Kaffee.“ Ich erwiderte: „Ja, Exzellenz, und
auch dadurch, daß ich aufrichtig bin und zuweilen nicht höflich sein
1 Abeken S. 407, Reims, den 5. September 1870, nachmittags: „Ist es
denn wahr, daß das prachtvolle Gebäude, welches ich da vor meinem Fenster
sehe, die wirkliche alte Kathedrale von Reims ist, in der die Könige von Frank-
reich gekrönt (worden] sind?“