6. September Siebentes Kapitel 175
kann“ — worüber großes Gelächter. Es heißt, daß wir zehn bis
zwölf Tage hier bleiben.
Dienstag, den 6. September. Früh beizeiten nach der
Kathedrale, deren Glockenspiel mich die Nacht mehrmals mit seinem
Melodiengebimmel geweckt hat. Ein großartiger Bau aus der besten
Zeit der Gotik, Unsrer lieben Frau geweiht. Herrliche Hauptfassade
unter den beiden unvollendeten Türmen, drei reich mit Skulpturen
gezierte Portale, im Innern magisches Licht von gemalten Fenstern
auf dem Fußboden und an den Flanken der Säulen. Der Hoch-
altar im Hauptschiff, wo man die französischen Könige krönte, ist
mit Goldblech bekleidet. In einer der Seitenkapellen an dem Gange,
der um den Chor herumläuft, wird Messe gelesen. Davor knieen
neben den französischen Frauen mit ihren Rosenkränzen Mitchristen
von ihnen in Gestalt schlesischer und polnischer Musketiere und
Kürassiere. Außen um die Kirche herum viel Bettelei, die ihre An-
liegen zum Teil singend vorträgt.
Von zehn bis drei Uhr ohne Umsehen fleißig gearbeitet, u. a.
an einem ausführlichen und einem kürzern Aufsatz über die Bedin-
gungen, unter denen Deutschland Frieden schließen kann. „Sehr
vernünftig und wert, daß man darauf aufmerksam mache,“ fand
der Chef einen Artikel der Volkszeitung vom 31. August, der sich
gegen die Einverleibung der eroberten Gebietsteile Frankreichs in
Preußen erklärte, und der, nachdem er zu zeigen versucht hat, daß
dies keine Stärkung, sondern eine Schwächung Preußens sein würde,
mit den Worten schloß: „Nicht die Vergrößerung Preußens, sondern
die Einheit Deutschlands und die Unschädlichmachung Frankreichs
ist das wünschenswerte Ziel.“ Bamberger hat in Nanch ein fran-
zösisches Blatt gegründet, dem von Zeit zu Zeit Nachrichten von
uns zugehen sollen.
Vor Tische bemerkte Graf Bohlen, indem er die Couverts
überzählte: „Wir sind doch nicht etwa dreizehn beim Essen? —
Nein. Das ist gut; denn der Minister hat das nicht gern.“ Bohlen,
dem unser Leibliches anbefohlen zu sein scheint, hat den Genius unsers
Chef de cuisine offenbar angespornt, heute sein Bestes zu leisten.
Das Diner ist sumptuös. Der Gardekapitän von Knobelsdorff,
der Graf Max von York und ein schlankgewachsener, etwas schüch-
terner junger Mann in Dragonerleutnantsuniform mit rosenrotem