Full text: Tagebuchblätter. Erster Band. (1)

8. September Siebentes Kapitel 179 
ihre gewaltige Tiefe, ihre edle Einfachheit und ihre massigen Säulen 
einen bedeutenden Eindruck. Das Grab des Heiligen hinter dem 
Chor erinnert lebhaft an das Grab Christi in Jerusalem. Es ist 
ein nach allen vier Seiten freistehendes Tempelchen unter der Kuppel 
der Apsis. Das Material ist weißer Marmor mit rotgeäderten 
Säulen, der Stil Renaissance. Seitwärts ist eine Kapelle, wo 
über dem Altar eine kunstgeschichtliche Seltenheit, vielleicht ein 
Unikum, hängt: ein gekreuzigter Christus, der eine goldne Königs- 
krone trägt und nicht nackt, sondern mit einem purpurnen Rocke 
bekleidet ist, auf dem Goldsterne glänzen. Der Gesichtsausdruck 
und die Behandlung des Gewandes lassen auf hohes Altertum 
schließen. Auf der andern Seite, in der Sakristei, zeigt uns der 
Küster mehrere alte Bilder, die Stickereien sind. 
Donnerstag, den 8. September. Früh mit Willisch in 
die Vesle baden gegangen bei kaltem Wind, aber hellem Wetter. 
Abends bei uns großes Diner, bei dem der Erbgroßherzog von 
Mecklenburg-Schwerin, dessen Adjutant Nettelblatt, der Oberpost- 
direktor Stephan und die drei Amerikaner zugegen sind. 1 — — 
Man spricht u. a. von den verschiednen Gerüchten über die Vor- 
fälle in Bazeilles. Der Minister äußert, ein Mitkämpfen der Bauern 
bei der Verteidigung von Ortschaften könne nicht geduldet werden. 
Sie wären nicht uniformiert und deshalb, wenn sie ungesehn die Flinte 
wegwürfen, nicht als Kämpfer zu erkennen, die Chancen müßten aber 
für beide Teile gleich sein. Abeken findet das Schicksal von Ba- 
zeilles zu hart und meint, der Krieg müsse menschlicher geführt 
werden. Einen andern Standpunkt nimmt Sheridan ein, dem Mac 
Lean die Sache übersetzt hat. Er findet auch die strengste Behand- 
lung der Bevölkerung in einem Kriege in der Ordnung, und zwar 
aus politischen Rücksichten. „Die richtige Strategie — so sagte er 
ungefähr — besteht erstens darin, daß man dem Feinde tüchtige 
Schläge beizubringen sucht, soweit er aus Soldaten besteht, dann 
aber darin, daß man den Bewohnern des Landes so viele Leiden 
zufügt, daß sie sich nach dem Frieden sehnen und bei ihrer Re- 
gierung darauf dringen. Es muß den Leuten nichts bleiben als 
  
1 Poschinger a. a. O. l, 53. Bismarck sprach sich bei dieser Gelegenheit 
für die Erhaltung des Napoleonischen Kaisertums aus. 
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