216 Achtes Kapitel 20. September
Reims und Hagenau geschrieben waren, ein paar Stunden Zeit,
mich mit der neuen Wohnstätte bekannt zu machen. Ich benutzte
dies zu einer Besichtigung des Schlosses, soweit es uns zugänglich
war, sowie zu einem Streifzuge durch seine Umgebung, die in einem
nach Süden hin gelegnen Park, einem im Norden sich anschließenden
Blumengarten, einem etwa vierhundert Schritt westlich vom Schlosse
befindlichen Komplexe von Ställen und Wirtschaftsgebäuden, denen
gegenüber, jenseits der Fahrstraße, eine ausgedehnte Gärtnerei mit
Obstpflanzungen, Gemüsebeeten und langgestreckten prächtigen Ge—
wächshäusern liegt, sowie in einem noch vom Parke eingeschlossenen
Schweizerhäuschen besteht, das zur Wohnung für Dienstleute und
zugleich zum Waschlokal dient.
Über das Schloß will ich kurz sein. Es ist der Form nach
ein Viereck, das zwei Stockwerke und an jeder der vier Ecken einen
dreistöckigen Turm mit stumpf zulaufender Bedachung hat. Der
Stil ist ein Gemisch aus verschiednen Schulen der Renaissance, bei
denen es zu keiner rechten Gesamtwirkung kommt und das Ganze
namentlich nicht so groß aussieht, als es in Wirklichkeit ist. Am
besten nimmt sich noch die südliche Front mit ihrer mit stattlichen Vasen
geschmückten Freitreppe aus, die zu einer Terrasse führt, auf der
Orangen- und Granatbäume in Kübeln stehen. Der Haupteingang
ist auf der Nordseite, wo man zunächst in ein Vestibül mit Büsten
römischer Kaiser gelangt, die ganz hübsch sind, von denen aber
nicht wohl zu begreifen ist, was sie im Hause des Krösus der mo—
dernen Judenschaft zu suchen haben. Von hier führt ein etwas
gedrücktes Treppenhaus, dessen Wände mit Marmor bekleidet sind,
in den Hauptsaal des Gebäudes, um den eine von vergoldeten
jonischen Säulen getragne Galerie herumläuft. Die Wand darüber
schmücken Gobelins. Unter den Gemälden des mit allerlei Prunk
ausgestatteten Saals ist ein Reiterbild von Velasquez. Auch sonst
haftet der Blick unter den prächtigen Sachen auf dem und jenem,
was zugleich schön ist. Im großen und ganzen aber macht der
Büreau warten, wo Abeken sich mit ihnen unterhielt, „halb aus Neugier, halb aus
Mitleid.“ Abeken 407. Nach Hörensagen berichtet Waldemar von Roon,
Denkwürdigkeiten III 5, 225 f.