Full text: Tagebuchblätter. Erster Band. (1)

22. September Achtes Kapitel 231 
tischen Nutzen. Da giebts eine Menge Partikeln, die bei der Unvoll— 
kommenheit der Konjugation aushelfen müssen, und die achtund— 
zwanzig Deklinationen, die man früher hatte, waren auch was fürs 
Gedächtnis. Jetzt giebts nur noch drei, aber dafür umso mehr Aus- 
nahmen. Und wie werden die Stämme dabei verwandelt — von 
manchem Worte bleibt nur ein Buchstabe.“ 
Wir reden von der Behandlung der schleswigsholsteinischen 
Frage im Bundestage der fünfziger Jahre. Graf Bismarck-Bohlen, 
der inzwischen dazu gekommen ist, bemerkte, das müsse doch zum 
Einschlafen gewesen sein. — „Ja — sagt der Chef —, in Frankfurt 
schliefen sie bei den Verhandlungen mit offnen Augen. Überhaupt 
eine schläfrige, fade Gesellschaft, die nur genießbar wurde, wie ich 
als der Pfeffer dazu kam.“ Er erzählte dann eine anmutige Ge- 
schichte von dem damaligen Bundestagsgesandten Grafen Rechberg. 
„Einmal hatte der mir Dinge gesagt, auf die ich mit Grobheiten 
antworten mußte. Er erwiderte, das wäre ja, um auf die Bocken- 
heimer Heide hinauszugehn, wenn ich das nicht zurücknähme. — 
Oder auch im Taxisschen Palais, das sie dem Bundestag über- 
lassen hatten. — Ich nehme niemals etwas zurück, sagte ich ge- 
lassen, und da müssen wirs so abmachen, und ich dächte gleich; der 
Garten da unten ist ganz geeignet dazu. Nur, damit man nicht 
sagen kann, daß ich meinen König so ohne weiteres mit der Pistole 
vertrete, werde ich die Ursache unsers Zwistes hier aufschreiben, und 
Sie werden das lesen und der Wahrheit gemäß unterschreiben. In- 
zwischen — gleich hier nebenan wohnt einer von unsern Offizieren, 
der mir den Gefallen thun wird, und Sie werden einen von den 
Ihrigen finden.“ Ich zog die Klingel, ließ den Offizier bitten, sich 
zu mir zu bemühen, und schrieb dann los, während er mit großen 
Schritten im Zimmer auf und ab ging und — gluck, gluck, gluck — 
(er machte die Gebärde des Trinkens) ein Glas Wasser nach dem 
andern hinuntergoß. Natürlich nicht aus Feigheit, sondern weil er 
sich überlegte, daß er doch seine Regierung erst um Erlaubnis bitten 
müsse. Ich schrieb ruhig weiter. Der Offizier kam und erklärte 
sich mit Vergnügen bereit. Ich bat ihn, einen Augenblick zu warten. 
Als ich wiederkam, sagte Rechberg, er werde sichs bis morgen über- 
legen, und ich gab mich damit zufrieden. Als er aber nichts von 
sich hören ließ am andern Tage, schickte ich den mecklenburgischen
	        
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