Full text: Tagebuchblätter. Erster Band. (1)

264 Neuntes Kapitel 6. Oktober 
sein wird, als ein nichts weniger als liebenswürdiges Frauenzimmer 
erwies —, grinsend den Verhandlungen zusah, die zu den Verträgen 
mit den süddeutschen Staaten, zur Proklamierung des deutschen 
Kaisers und Reiches und später zur Übergabe von Paris und zur 
Feststellung der Friedenspräliminarien führten — Verträgen, die 
sämtlich in diesem Salon unterzeichnet wurden, ein weltgeschichtliches 
Zimmer also. Auf dem andern Spiegeltischchen lag am Tage nach 
unserm Einzuge ein Kärtchen von Frankreich, auf dem die Fort- 
schritte der französischen Armee durch eingesteckte Nadeln mit bunten 
Köpfen verzeichnet waren. „Vermutlich von Madame,“ sagte der 
Chef, als ich mirs betrachtete. „Aber sehen Sie, bloß bis Wörth.“ 
Das Billardzimmer wurde zum Büreau für die Räte, den ex- 
pedierenden Sekretär und die Chiffreurs eingerichtet. Ein Teil des 
Wintergartens nahm, als im Januar starker Frost eintrat, das 
Kommando auf, das die Wachtposten vor dem Eingange stellte und 
zuerst aus Linieninfanterie, dann aus Jägern bestand. In der 
Bibliothek machten sichs Ordonnanzen, Kanzleidiener, hin und wieder 
ein dickbäuchiger lederner Depeschensack, der auch nicht Offizielles, 
z. B. unfre Winterkleider, zu befördern die Gefälligkeit gehabt hatte, 
und einige Tage lang ein großer Haufen französischer Briefe bequem, 
der die Fracht eines von unsern Soldaten abgefangnen Luftballons 
gewesen war. 
Geht man die Haupttreppe hinauf, so gelangt man zunächst 
wieder auf einen Vorsaal, der durch eine viereckige Offnung in seiner 
Decke und ein über ihr im Dache angebrachtes flaches Fenster eine 
Art Halblicht erhält. Zwei Thüren führen von hier in die Gemächer, 
die der Minister inne hatte, zwei Stübchen, von denen keins tiefer 
als zehn und breiter als sieben Schritte ist. Das eine, dessen 
Fenster die rechte Seite der Hauptfront des Hauses nach dem Garten 
hin einnehmen, war sein Arbeitszimmer und zugleich sein Schlaf- 
gemach und war nur notdürftig möbliert. Rechts an der Wand, 
nicht weit von der Thür, den Fenstern gegenüber, stand sein Bett 
und weiterhin, in einer Art Alkoven, ein Waschapparat. An der 
nächsten Seite stand eine Mahagonikommode mit messingnen Griffen 
zum Aufsfziehen der Schubladen, auf der sich in den letzten Monaten 
die Cigarrenkisten aufschichteten, die Bremer Wohlthäter ihm gesandt 
hatten. Die Vorhänge vor den beiden Fenstern waren von dunkel-
	        
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