Full text: Tagebuchblätter. Erster Band. (1)

296 Zehntes Kapitel 15. Oktober 
die Rede, daß kurz vorher in der Dämmerung zwei Schüsse ganz 
nahe bei unfrer Wohnung gefallen wären, und daß ein Schutzmann 
abgeschickt worden sei, um sich nach der Ursache zu erkundigen. „Wohl 
eine Schildwache,“ sagte der Chef. „Vielleicht hat ein Verdächtiger 
sich sehen lassen. Dabei erinnere ich mich, daß ich vorgestern, als 
ich die Nacht im Garten spazieren ging, eine Leiter fand und zu- 
gleich das unbezwingliche Bedürfnis fühlte, darauf an der Mauer 
hinaufzusteigen. Wenn nun da eine Schildwache stand? — Ich 
unterhielt mich zuletzt mit dem Posten an der Thür. Er hatte 
schon den Feldzug von Sechsundsechzig mitgemacht und wußte auch 
über diesen recht gut Bescheid. Ich fragte ihn, ob er wohl dächte, 
daß wir nach Paris hineinkämen. Er sagte, wenn nur das große 
Fort links von St. Cloud nicht wäre. Ich bemerkte ihm, das würde 
ihnen auch nichts helfen, wenn sich erst der Hunger in der Stadt 
einstellte." 
Abends erzählte unten auf dem Vorsaal der Schutzmann mit 
dem langen Barte: „Den Spanier hätten wir, Herr Doktor.“ 
„So — sage ich —, welchen Spanier?“ 
„Nun, der gestern oder vorgestern bei Exzellenz war, und auch 
seinen Diener. Ist ein Spion, haben ihn abgefaßt und einen Plan 
unfrer Truppenaufstellung bei ihm gefunden.“!1 
Ich höre dann noch, daß der Mann sich Angelo di Miranda 
nennt. 
Gegen zehn Uhr kamen Moltke und ein andrer hoher Offizier 
— ich glaube, der Kriegsminister — zum Chef, um mit ihm (ver- 
mutlich in Sachen der Boyerschen Mission) zu konferieren. Sie 
haben sich im Büreau außer mehreren Telegrammen ältern Datums, 
z. B. dem über Persigny, auch den Brief von Hellwitz, der in Meaux 
bei uns war und, wie ich höre, schon in Pont à Mousson mit dem 
Kanzler verhandelt hat, und der inzwischen bei Napoleon auf Wil- 
helmshöhe gewesen sein soll, heraussuchen lassen. 
Sonnabend, den 15. Oktober. Früh einen Artikel über 
die Zerstörung des Schlosses von St. Cloud gemacht, das von den 
Franzosen ohne vernünftigen Grund in Brand geschossen worden 
  
1 Am 13. Oktober war die ganze Feldpolizei reorganisiert und eine strenge 
Fremdenpolizei in Versailles eingerichtet worden. Abeken 427.
	        
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