4 Erstes Kapitel 24. Februar
zu erheben. Er kam aber noch einmal auf den Reichstag zurück,
indem er fragte: „Sie wissen doch, was heute auf der Leipziger
Straße auf der Tagesordnung war?“
Ich verneinte es, indem ich bemerkte, ich hätte zu viel andres
zu besorgen gehabt, um von den Berichten der Zeitungen über die
Reichstagssitzung schon Notiz nehmen zu können.
„Nun — versetzte er — die Frage war wegen des Anschlusses
Badens.1! Daß die Leute das nicht abwarten können, immer alles
vom Parteistandpunkte aus behandeln müssen und als Redner!
Recht unerfreulich, solches Reden, um nicht zu sagen, solches Ge-
schwätz, beantworten zu müssen. Es ist wirklich mit diesen beredten
Herren wie mit manchen Damen, die einen kleinen Fuß haben und
immer zu enge Schuhe anziehen und die Füße vorstrecken, damit
man sie sehen soll. So, wenn einer das Unglück hat, beredt zu sein,
da hält er zu lange Reden und zu oft. Wir haben die deutsche
Frage in gutem Gange. Aber sie hat ihre Zeit — ein Jahr viel-
leicht — fünf Jahre — zehn möglicherweise. Ich kann sie nicht
schneller machen, und diese Herren auch nicht. Aber sie können nicht
warten.“
Damit erhob er sich und gab mir die Hand zum Abschied für
diesmal.
So war ich denn unter seine Mitarbeiter aufgenommen. Zu
der von ihm ins Auge gefaßten Besprechung und Anleitung kam es
nicht; ich mußte sofort in die Aktion gehn. Am nächsten Abend
schon wurde ich zweimal zu ihm hinaufgerufen, um Aufträge zu
Artikeln zu erhalten, später zuweilen noch häufiger, auch am Vor-
mittag, mitunter vier, fünf, an einem Tage nicht weniger als acht mal,
wobei es die Ohren steif zu halten, wohl aufzumerken und die eine
Information nicht über der rasch auf sie folgenden zu vergessen oder
beider Gedanken miteinander zu vermischen galt. Indes fand ich
1 Bei der dritten Lesung des norddeutsch-badischen Vertrags über gegen-
seitige Rechtshilfe vom 14. Januar 1870 brachte Lasker den Antrag ein, den
Bismarck, völlig davon überrascht, mit allem Nachdruck bekämpfte. Die Reden
des Fürsten Bismarck, herausgegeben von Horst Kohl, IV, 365 ff. Die badische
Regierung hatte mit dem Antrage nichts zu thun. H. Baumgarten und
L. Jolly, Staatsminister Jolly, 161 ff. Hausrath, Baden im alten Bund cc.,
Deutsche Rundschau 1898, 24. Jahrg. Nr. 9—12.