Full text: Tagebuchblätter. Erster Band. (1)

4. November Elftes Kapitel 349 
sind, aber näher besehen nichts als Phrasen oder Flausen.“ Wie 
schön hier doch das charakterisiert ist, was einer unsrer Hofdemo— 
kraten und Modepoeten die „Volksseele“ genannt wissen wollte! 
Von Thiers erzählte der Minister nur, daß er an ihn bald 
nach Beginn ihrer heutigen Besprechung plötzlich die Frage gerichtet 
habe, ob er noch mit den zur Fortsetzung der Unterhandlungen 
nötigen Vollmachten versehen sei. „Er sah mich erstaunt an — fuhr 
er fort —, und ich sagte ihm darauf, daß von unsern Vorposten 
die Meldung eingegangen sei, in Paris habe nach seiner Abreise 
eine Revolution stattgefunden, und es sei eine neue Regierung 
ausgerufen worden. Er war sichtlich betroffen, und daraus war zu 
schließen, daß er einen Sieg der Roten für möglich hält, und daß 
Favre und Trochu auf schwachen Füßen stehen." 
Löwinsohn, der sich jetzt regelmäßig Nachrichten und An- 
regungen für den Moniteur holt, sollte ein Urteil der Norddeutschen 
Allgemeinen Zeitung über die Kapitulation von Metz in diesen 
aufnehmen, wollte aber nicht, da Bazaine „ein Verräter“ sei. Er 
erklärte sich dann auf mein Zureden dazu bereit, wollte aber darauf 
die Redaktion niederlegen, da er „seine Überzeugung nicht verleugnen 
könne.“ Wirklich? 
Von neun bis nach zehn Uhr war Thiers wieder beim Chef. 
Freitag, den 4. November. Früh wundervoll schönes, 
helles Wetter. Ich berichtige auf den Wunsch des Ministers einen 
Artikel der Daily News über seine Besprechung mit Napoleon bei 
Donchery. Er hat vorzugsweise und jedenfalls drei Viertelstunden 
lang im Innern des Weberhauses, oben in der Stube und nur 
ganz kurze Zeit unter freiem Himmel mit dem Kaiser verkehrt, wie 
er in seinem amtlichen Berichte an den König gesagt hat. Er hat 
ferner bei seinem Gespräche mit Napoleon nicht mit dem Zeige- 
finger der linken Hand in die geöffnete rechte geschlagen, was gar 
nicht seine Gewohnheit ist. Er hat sodann niemals deutsch mit 
dem Kaiser gesprochen, „wie sonst, so auch damals nicht. Wohl 
aber — so fuhr er fort — habe ich mich mit den Leuten im Hause, 
von denen der Mann etwas, die Frau ziemlich gut deutsch konnte, 
auf deutsch unterhalten." 
Von elf Uhr an konferiert Thiers abermals mit dem Minister. 
Er hat gestern seinen Begleiter, einen Herrn Cochery, nach Paris
	        
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