Full text: Tagebuchblätter. Erster Band. (1)

15. November Zwölftes Kapitel 405 
weit kühner, als die Franzosen selbst sichs in dieser Zeit vorstellten, 
und bei einiger Neigung zur Selbsterkenntnis müßten sie sich jetzt 
sagen, daß sie wenig Ursache zu den überschwänglichen Phrasen 
von glorreicher Verteidigung ihrer Hauptstadt gehabt haben. Vier 
Wochen lang kam auf jeden Schritt der ungeheuern Cernierungs- 
linie nur ein deutscher Infanterist. Allmählich rückten dann das 
elfte norddeutsche und das erste bayrische Armeekorps sowie die 
Ersatztruppen zur Komplettierung der zusammengeschmolznen Kadres 
heran, mit dem Falle von Straßburg wurde die Gardelandwehr- 
division frei, und so gewannen in der letzten Woche des Oktober 
unfre beiden Armeen vor Paris die Stärke von 202000 Mann 
Infanterie und 33800 Mann Kavallerie mit 898 Geschützen. Aber 
abgesehen von den bedeutenden Kräften, die der Vorpostendienst und 
die notwendige fortifikatorische Verstärkung der Cernierungslinie in 
Anspruch nahmen, hatten diese Armeen nun sofort starke Abteilungen 
abzugeben, um dem Belagerungsheer den Rücken freizuhalten. Die 
Zahl der unmittelbar vor der Stadt stehenden deutschen Truppen 
wird infolgedessen schwerlich jemals mehr als zweimalhunderttausend 
Mann betragen haben. 
Blume führt dann die Gründe an, weshalb nach seiner Ansicht 
weder im September das Wagnis eines gewaltsamen Angriffs auf 
Paris, noch später eine förmliche Belagerung unternommen worden 
ist. Von jenem zwangen die sturmfreien Forts und die sturmfreie 
Enceinte, die die Stadt schützten, abzusehen. Für die Belagerung 
aber und selbst für den artilleristischen Angriff auf einzelne Forts 
fehlte es, abgesehen von der Schwäche der zur Verfügung stehenden 
Truppenzahl, vor allem an einem entsprechenden Belagerungsparke. 
Die Heranführung eines solchen ließ sich nicht eher bewerkstelligen, 
als nach dem Falle von Toul und nach der Eröffnung des Eisen- 
bahnbetriebes bis Nanteuil, also nicht vor der letzten Woche des 
September. Nachdem die Eisenbahn aber bis zu diesem elf Meilen 
von Paris gelegnen Orte offen war, erschien als nächstes und 
dringendstes Bedürfnis eine ausreichende Fürsorge für die Ver- 
pflegung der Truppen. In der Umgebung von Paris fand man 
höchstens Weinlager, aber sonst keine nennenswerten Vorräte. Die 
Armee lebte von der Hand in den Mund. Reservemagazine mußten 
angelegt und gefüllt werden, und so war die Herbeischaffung der
	        
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