Full text: Tagebuchblätter. Erster Band. (1)

16. November Zwölftes Kapitel 407 
unwohl. Man nennt als einige der Ursachen Verdruß über die Ver— 
handlungen mit mehreren süddeutschen Staaten, die wieder einmal 
stocken zu wollen scheinen,! und über das Verhalten der Militärs, 
die ihn bei verschiednen Gelegenheiten nicht um seine Meinung 
gefragt haben sollen, während es sich doch nicht bloß um militärische 
Fragen gehandelt hätte. · « 
Nach drei Uhr wieder bei den Offizieren der Sechsundvierziger 
gewesen, die soeben von den Vorposten wieder auf sechs Tage in 
den Hafen der Ruhe eingelaufen sind und sich dessen im Schlößchen 
bei Chesnay freuen. Haber, der nun wohl bald das Eiserne Kreuz 
bekommen wird, erzählt eine hübsche kleine Anekdote aus den letzten 
Wochen. Bei dem Gefecht in der Nachbarschaft von Malmaison 
hatten sie eine Bresche in einer Parkmauer passieren müssen, die 
aber noch so hoch gewesen war, daß er nicht, ohne den gezognen 
Degen abzulegen, darüber steigen konnte. In einiger Verlegenheit 
hierüber sah er drüben einen Franzosen stehen, einen hübschen, 
strammen Burschen, der gefangen genommen und entwaffnet worden 
war. Haber rief ihn herbei und bat ihn, ihm den Degen zu halten. 
Der Gallier that dies lächelnd und gab ihm dann die Waffe mit 
verbindlicher Gebärde zurück. In gleicher Weise half er dem hinter 
Haber emporkletternden Feldwebel. Natürlich hätten die Soldaten 
den jungen Mann, wenn er nur Miene gemacht hätte, den Degen 
zu behalten, niedergeschossen. Aber die Gallier lassen sich, wie Haber 
meint, jetzt gern gefangen nehmen. Doch dürfe man sich das nicht 
mit Nahrungsmangel bei der Pariser Armee erklären. Der neulich 
am Tage „Freßbeutel-Berlin“ zu den Vorposten bei La Celle 
desertierte Zuavensergeant habe sehr wohlgenährt ausgesehen. Alles 
hofft hier mit Ungeduld auf den Beginn des Bombardements, 
und alle wollen jetzt mit größter Bestimmtheit wissen, daß es bis- 
her unterblieben sei, weil hochstehende Damen sich mit Erfolg für 
die Schonung der Stadt verwendet hätten. Heute hatte man bei 
ihnen — nach welchen Nachrichten oder Anzeichen, unterließ ich zu 
  
1 Am 15. November wurden erst die Verträge mit Baden und Hessen unter- 
zeichnet, Bismarck-Regesten I, 408; ogl. Jolly 199. Am 16. hatte der Kanzler 
über die deutsche Frage eine scharfe Auseinandersetzung mit dem Kronprinzen. 
Kaiser Friedrichs Tagebuch vom 16. November.
	        
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