Full text: Tagebuchblätter. Erster Band. (1)

414 Zwölftes Kapitel 20. November 
auf dem hinten ein Käppi hängt, und durch Bewaffnung mit einer 
rostigen Flinte zu einer Art Sansculotten geworden. Was der 
auf der andern Seite stehende Abbé bedeuten sollte, dem man einen 
Dreimaster mit trikolorer Kokarde aufgesetzt, ein Waldhorn in die 
Hand und an den Mund gegeben, eine Weinflasche an einem Bind- 
faden umgehängt und eine Laterne vorgebunden hatte, war in der 
Eile nicht zu enträtseln. 
Beim Diner hatten wir den General von Werder, den preußischen 
Militärbevollmächtigten in Petersburg, zu Gaste, einen langen Herrn 
mit dunkelm Schnurrbart. Der Chef sagte bald nach seinem Ein- 
tritte mit dem Ausdruck der Vergnügtheit zu ihm: „Es ist möglich, 
daß wir uns mit Bavaria noch verständigen.“! 
„Ja — rief Bohlen —, es steht so was schon telegraphisch 
in einem von den Berliner Blättern — Volkszeitung, Staatsbürger- 
zeitung oder so was wars."“ 
Der Minister erwiderte: „Das ist mir doch nicht angenehm, 
das ist zu frühzeitig. Aber freilich, wo so ein Haufen — vor- 
nehmer Leute ist, die nichts zu thun haben und sich langweilen — 
da bleibt nichts geheim.“ 
Er kam dann — ich weiß nicht mehr, in welchem Zusammen- 
hang — auf folgende Jugenderinnerung: „Als ich noch ganz klein 
war, da wurde einmal bei uns ein Ball oder so was der Art ge- 
geben, und als sich die Gesellschaft zum Essen setzte, suchte ich mir 
auch einen Platz und fand ihn in irgend einer Ecke, wo mehrere 
Herren saßen. Die wunderten sich über den kleinen Gast, drückten sich 
aber dabei französisch aus. Wer das Kind wohl sein möchte? C'est 
peut-ötre un fi’ de la maison, ou une fille. Da sagte ich ganz 
dreist: C'est un fils, Monsieur, was sie nicht wenig in Erstaune setzte." 
Das Gespräch lenkte sich dann auf Wien und Graf Beust, und 
der Chef bemerkte, daß dieser sich bei ihm wegen der neulichen groben 
Note entschuldigt habe, sie habe nicht ihn, sondern Biegeleben zum 
Verfasser.? 
  
1 „Die Verständigung mit Bayern ist positiv, Minister Lutz hat es mir 
selbst gesagt,“ schreibt Jolly am 21. November, S. 200 f. Kaiser Friedrichs 
Tagebuch vom 20. November, „Bayern lenkt ein.“ 
2 Ludwig Maximilian Freiherr von Biegeleben aus Darmstadt, streng ka- 
tholisch, großdeutsch und antipreußisch, 1852 bis 1872 Referent über die deutschen
	        
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