Full text: Tagebuchblätter. Erster Band. (1)

22. November Zwölftes Kapitel 421 
Nach drei Uhr ist der russische General Annenkow ungefähr 
fünf Viertelstunden beim Minister.! 
Bei Tische sind Fürst Pleß, der Major von Alten und ein 
Graf Stolberg zugegen. Es ist die Rede von einem großen Fund 
edler Weine, der im Schoß eines Berges oder Kellers in Bougival 
gemacht und nach Kriegsrecht als ins Gebiet der Nahrungsmittel 
gehörend konfisziert worden sei. Bohlen, unser Obertruchseß, klagt, 
daß uns davon nichts zugeflossen sei. Überhaupt würde für das 
Auswärtige Amt überall möglichst schlecht gesorgt, man bemühe sich 
stets, dem Chef die unbequemsten Wohnungen zuzuweisen, und man 
hätte das Glück, sie überall auch zu finden. 
„Ja — sagt der Chef lächelnd —, es ist die reine Flegelei, 
die Art, wie man gegen mich verfährt.“ Und dabei, der Undank 
der Militärs, mir gegenüber, der ich im Reichstag immer für sie 
gesorgt habe! Aber sie werden sehen, wie ich mich verwandle. 
Militärfromm bin ich in den Krieg gezogen, ganz parlamentarisch 
werde ich nach Hause kommen. Eisernes Budget is künftig nich.“ 
Fürst Pleß lobt die württembergischen Truppen, sie machten 
als Soldaten einen vortrefflichen Eindruck und kämen in ihrer 
Haltung den unsern am nächsten. Der Kanzler schließt sich dem 
an, will aber auch die Bayern gerühmt wissen. Besonders scheint 
ihm an ihnen zu gefallen, daß sie „mit dem Totschießen der Franc- 
voleurs rasch bei der Hand sind.“ — „Unsre Norddeutschen 
halten sich zu sehr an den Befehl. Wenn so ein Buschklepper 
— bemerkte er beispielsweise — auf einen holsteinischen Dragoner 
schießt, so steigt der erst vom Pferde und läuft mit seinem schweren 
Säbel dem Kerle nach und fängt ihn. Dann bringt er ihn seinem 
Leutnant, und der läßt ihn laufen, oder er liefert ihn ab, und 
dann ists dasselbe, man läßt ihn auch laufen. Der Bayer machts 
anders, der weiß, daß Krieg ist, der hält noch auf alte gute Sitten. 
Er wartet nicht ab, bis auf ihn von hinten geschossen wird, sondern 
schießt zuerst.“ 
1 Er brachte ein Schreiben des Kaisers Alexander an den König, K. Fried- 
richs Tagebuch vom 14. November mit dem Zusatz: (Der Botschafter Prinz) Reuß 
erhielt erst bei Abgang desselben (Briefes) Nachricht davon mit dem Bemerken, 
er möge nicht eher telegraphieren, als bis der König den Brief erhalten. 
2 Vgl. G. u. E. II, 94. 
 
	        
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