27. November Zwölftes Kapitel 435
scheint Russell wieder. Der Chef läßt ihn bitten, zehn Minuten zu
warten, und geht unterdessen mit Bucher im Garten hin und her.
Da es nichts zu thun giebt, mache ich Haber in La Celle wieder
einen Besuch, wobei ich auf dem Hinwege dreimal von Posten an—
gehalten werde, was früher niemals geschehen war. Nachdem ich
mit Haber und den andern Offizieren in dem stattlichen Schloß
über dem Markte eine Stunde angenehm verplaudert, mache ich mich
mit dem Feldgeschrei: „Zahlmeister, Hermann“ ausgerüstet, auf den
Heimweg. Ein Intendanturbeamter, der in einer hübschen Kalesche
nach der Stadt fährt, nimmt mich an seine Seite. Er hat Wagen
und Pferd in einem Stalle zu Bougival „eingemauert gefunden und
säuberlich herausgeschält.“ Er scheint auch der Entdecker und Ver—
walter des großen Weinlagers zu sein, das man dort gefunden hat,
das aber jetzt auf die Neige gehen soll.
Bei Tische ist Graf Lehndorff zugegen sowie eine bayrische
Offiziersuniform, der Graf Holnstein, stattlicher, strammer Mann,
rotes, volles Gesicht, angehender Dreißiger dem Anschein nach, an-
genehmes, offnes Benehmen. Er ist, wie man hört, der Oberstall-
meister des Königs Ludwig und gehört zu dessen Vertrauten.
Der Chef sprach erst über die russische Angelegenheit und sagte:
„Wien, Florenz und Konstantinopel haben sich noch nicht geäußert,
aber Petersburg und London, und das sind hier die wichtigsten
Stellen. Danach aber steht es gut.“
Dann erzählte er verschiedne Anekdoten aus seinem weid-
männischen Leben: von der Gemsenjagd, „zu der es ihm doch an
Atem fehle,“ von dem schwersten Wildschwein, das er erlegt,
„der Kopf allein wog zwischen 99 und 101 Pfund,“ und von dem
größten Bären, den er geschossen habe.
Im weitern Verlauf der Sitzung wurden die Münchner Ver-
hältnisse das Thema des Gesprächs, wo Holnstein u. a. bemerkte,
die französische Gesandtschaft hätte sich doch sehr über die Haltung
Bayerns vor dem Ausbruch des Krieges getäuscht. Sie hätte sich
ihre Meinung aus zwei oder drei eifrig katholischen und preußen-
feindlichen Salons geholt, den Sieg der „Patrioten“ als sicher an-
genommen und sogar geglaubt, daß Prinz Luitpold König werden
würde.
Der Chef erwidert: „Daß Bayern mit uns gehen würde, daran
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