5. Dezember Dreizehntes Kapitel 477
fragte ihn — sagte er zu mir —, er wolle sich wohl Versailles
einmal ansehen.“ 1 — Nun ja, er konnte es (scil. die Erlangung
der Kaiserwürde durch Vermittlung Bayerns) freilich nicht selbst be-
treiben."
Werthern, unser Gesandter in München, scheint berichtet zu
haben, daß dort die Absicht bestehe, den Prinzen Luitpold mit der
Proklamierung des Kaisers zu beauftragen. Der Kanzler sagte dazu:
„Eine wunderliche Idee, bei der ich wieder einmal gesehen habe,
wie Bray geschäftliche Dinge behandelt. Wie soll er das machen?
Auf einen Balkon treten, und vor wem? Ja, wenn die Fürsten
alle hier wären. Aber die drei oder vier, die da sind! Ich hoffte,
wir würden eher Frieden haben, als die deutsche Sache fertig wäre."
Montag, den 5. Dezember. Sehr schönes Wetter, sehr kalter
Morgen. Früh bekommt der Chef, als er noch im Bette liegt, von
Bronsart die schriftliche Nachricht, daß das 3. und 9. Armeekorps
unter Prinz Friedrich Karl einen großen Sieg erfochten haben; der
Bahnhof und eine Vorstadt von Orleans sind durch Manstein ge-
nommen, der Großherzog von Mecklenburg ist im Westen der Stadt
erschienen, über dreißig Kanonen und mehrere tausend Gefangne
sind uns in die Hände gefallen. Auch bei Amiens ist nach sieg-
reichem Kampfe allerlei Kriegsmaterial mit Einschluß von neun Ge-
schützen von unsern Truppen erbeutet worden. Endlich sind hier
vor Paris die Franzosen hinter die Marne zurückgegangen. Ich
telegraphiere das in unfrer Art, und der Minister findet diesmal
an der langen Depesche nichts auszusetzen.
Er ließ mich bald nachher wieder rufen, und ich machte nach
seiner Auseinandersetzung ein Dementi in der bayrischen Angelegen-
heit, worin die bisher darin vorgetragnen Gedanken etwas anders
gefaßt wurden, und das ich dann dem Cigarrenkistchen, das unten
an der Wand im Büreau als Briefkasten dient, zu schleuniger Be-
förderung übergab. Es hieß da ungefähr: Das Gerücht, daß der
Bundeskanzler die Verträge mit den süddeutschen Staaten so, wie
sie sind, nur in der Hoffnung abgeschlossen habe, der Reichstag
werde sie verwerfen oder doch ändern, ist völlig grundlos. Diese
1 Der König hat offenbar zunächst geglaubt, es handle sich um einen
Besuch König Ludwigs in Versailles (zu dem geplanten Fürstentage).