Full text: Tagebuchblätter. Erster Band. (1)

5. Dezember Dreizehntes Kapitel 485 
Sie doch nicht.« — Ich war sein einziger geduldiger Zuhörer, das 
heißt, ich schwieg, that, als ob ich seinem Vortrage lauschte, und 
hatte dabei meine eignen Gedanken, bis es endlich kalte Küche und 
weißen Wein gab.“ — „Es war dem alten Herrn sehr verdrießlich, 
wenn er nicht das Wort führen durfte. Ich erinnere mich, einmal 
war einer da, der die Rede an sich riß, und zwar auf ganz natür— 
liche Weise, indem er Dinge, die alle interessierten, hübsch zu er— 
zählen wußte. Humboldt war außer sich. Mürrisch füllte er sich 
den Teller mit einem Haufen — so hoch (er zeigt es mit der 
Hand) — von Gänseleberpastete, fettem Aal, Hummerschwanz und 
andern Unverdaulichkeiten — ein wahrer Bergl — es war erstaun- 
lich, was der alte Mann essen konnte. — Als er nicht mehr konnte, 
ließ es ihm keine Ruhe mehr, und er machte einen Versuch, sich 
das Wort zu erobern. „Auf dem Gipfel des Popokatepetl, fing 
er an. Aber es war nichts, der Erzähler ließ sich seinem Thema- 
nicht abwendig machen. — „Auf dem Gipfel des Popokatepetl, 
siebentausend Toisen über# — wieder drang er nicht durch, der Er- 
zähler sprach gelassen weiter. — „ Auf dem Gipfel des Popokate- 
petl, siebentausend Toisen über der Meeresfläches — er sprach es 
mit lauter, erregter Stimme, jedoch gelang es ihm auch damit nicht; 
der Erzähler redete fort, wie vorher, und die Gesellschaft hörte nur 
auf ihn. — Das war unerhört — Frevel! Wütend setzte Humboldt 
sich nieder und versank in Betrachtungen über die Undankbarkeit der 
Menschheit auch am Hofe, und bald darauf ging er.“ — „Die 
Liberalen haben viel aus ihm gemacht, ihn zu ihren Leuten gezählt. 
Aber er war ein nach Fürstengunst haschender Mensch, der sich nur 
wohl fühlte, wenn ihn die Sonne des Hofes beschien. — Das 
hinderte nicht, daß er hernach mit Varnhagen über den Hof räson- 
nierte und allerlei schlechte Geschichten von ihm erzählte. Varnhagen 
hat dann Bücher daraus gemacht, die ich mir auch gekauft habe. 
Sie sind erschrecklich teuer, wenn man die paar Zeilen bedenkt, die 
eins großgedruckt auf der Seite hat." 
Keudell meinte, aber für die Geschichte wären sie doch nicht 
zu entbehren. 
„Ja — erwiderte der Chef —, in gewissem Sinne. Im ein- 
zelnen sind sie nicht viel wert, aber als Ganzes sind sie der Aus- 
druck der Berliner Säure in einer Zeit, wo es nichts gab. Da
	        
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