Full text: Tagebuchblätter. Erster Band. (1)

8. Dezember Vierzehntes Kapitel 495 
Putbus das Menu, und es entwickelte sich ein Gespräch darüber, 
wobei erwähnt wurde, daß ein jüngerer Diplomat in Wien sämt- 
liche Menus seines Chefs sorgsam gesammelt und in zwei schön ver- 
zierten Bänden aufbewahrt habe, und daß sich darunter hochinter- 
essante Kombinationen befunden hätten. 
Später bemerkte der Kanzler, die Franzosen müßten jetzt in 
einem der Forts auf unfrer Seite ein oder zwei sehr große Geschütze 
haben. „Man hört es am Schall, der viel stärker ist. Sie können 
sich aber damit selbst schaden. Wenn sie recht stark laden, so schlägt 
das Rohr entweder um und schießt ihnen in die Stadt hinein, oder 
es zerspringt; freilich kanns auch glücken, und dann die Kugel bis 
zu uns nach Versailles fliegen." 
Man fragte dann, wie es mit dem „Kaiser von Deutschland"“ 
stehe, und der Chef äußerte unter anderm: „Wir haben viel Mühe 
dabei gehabt mit Telegrammen und Briefen. Aber die größere Hälfte 
hat doch der Holnstein gemacht. Ein sehr geschickter Mann, auch 
gar nicht vom Hofwesen eingenommen und verdorben."“ 
Putbus fragte, was er denn eigentlich sei. 
„Oberstallmeister. Er hat sich sehr gefällig und eifrig gezeigt 
und eine Tour nach München und wieder zurück in sechs Tagen 
gemacht. Dazu gehört beim Zustande der Bahnen viel guter Wille. 
Freilich hat er auch die Körperkonstitution dazu. — Ja nicht einmal 
bloß München, sondern Hohenschwangau. Und dort mit seinem 
Könige, der eben von einem Zahngeschwür operiert ist, und mit 
Chloroform. — Aber auch der König Ludwig hat zur raschen Er- 
ledigung der Sache wesentlich beigetragen. Er hat den Brief gleich 
angenommen und ohne Aufschub entscheidend beantwortet.)) Er 
  
*) Wie die Mythenbildung auch in diplomatischen Sphären arbeitet und 
Wahres mit Falschem verwebt, mag folgendes hierher gehörige Beispiel zeigen. 
Am 27. Februar 1879 las mir der Korrespondent eines englischen Blattes einen 
Aufsatz vor, worin nachstehende, einem derartigen Kreise entstammende Darstellung 
stand. Das Frankfurter (I) Parlament bot dem Könige von Preußen die Kaiser- 
würde an. Er lehnte sie ab, weil er sie nicht vom Volke und dessen Vertretern, 
sondern von den gekrönten Häuptern Deutschlands haben wollte. Darauf schickte 
Bismarck einen Gesandten an den König Ludwig von Bayern mit der Bitte, er 
möge doch den Fürsten die Sache empfehlen. Der Bote kam denn auch von 
Versailles auf der Insel an, wo der König sich aufhielt. Aber als er sich hier
	        
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