Full text: Tagebuchblätter. Erster Band. (1)

518 Vierzehntes Kapitel 13. Dezember 
fühle sich in Varzin, fern von Geschäften und Verdruß aller Art, 
gar zu wohl. Anm liebsten sei er in Wald und Feld. „Glauben 
Sie mir — hätte die Gräfin einmal zu ihm gesagt —, eine Wruke 
(Feldrübe) interessiert ihn mehr als Ihre ganze Politik“ — was 
wir doch mit einiger Vorsicht annehmen und auf gelegentliche 
Stimmungen beschränken wollen. 
Gegen halb zwei Uhr war ich bei ihm zum Vortrag. Er 
wollte, daß ich in der Presse auf die Verlegenheit des Königs 
von Holland um neue Minister hinwiese und sie als eine Folge 
des rein parlamentarischen Systems, wo die Räte der Krone unter 
allen Umständen zurücktreten müssen, wenn sie in einer Frage die 
Majorität der Landesvertretung gegen sich haben, darstelle. Er 
bemerkte dazu: „Ich entsinne mich, als ich Minister wurde, da 
hatten sie dort das zwanzigste oder einundzwanzigste Ministerium, 
seitdem sie das konstitutionelle System eingeführt hatten. Hält man 
sich strikt an das, an die Majoritäten, vor denen die Minister den 
Abschied nehmen müssen, so werden viele Leute verbraucht, zu viele; 
man muß dann zu Mittelmäßigkeiten greifen, und zuletzt finden sich 
gar keine mehr, die sich dem Gewerbe zu widmen Lust haben. Die 
Moral davon ist, daß entweder die Prämie für den Ministerposten 
erhöht werden, oder daß man etwas von der Strenge der parla— 
mentarischen Praxis nachlassen muß.“ 
Der Chef fuhr heute um drei Uhr aus, nachdem Russell wieder 
bei ihm gewesen war, und kam auch, Gott sei Dank! zum Diner 
herunter, wo er etwas Bier und ein paar Gläser Vichywasser mit 
Champagner trank. Wir hatten Schildkrötensuppe und unter andern 
delikaten Dingen Wildschweinskopf und ein Kompott aus Himbeer— 
gelee und Senf, das sehr gut war. 
Der Minister sagte: „Es hat mir diesmal doch recht mitgespielt. 
1866 hatte ich die Aderkrankheit auch. Ich lag da lange zu Bett 
und mußte Briefe beantworten, die sehr verzweifelter Natur waren 
— für mich sehr verzweifelnd — mit Bleistift. Sie (die Oster— 
reicher waren gemeint) wollten da an der Nordgrenze entwaffnen, 
aber tiefer unten wollten sie fortrüsten, und ich hatte begreiflich zu 
machen, daß uns damit nicht geholfen sein konnte.“!1 
  
1 Im April 1866.
	        
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