Full text: Tagebuchblätter. Erster Band. (1)

526 Vierzehntes Kapitel 15. Dezember 
ich ja zu, daß der bayrische Vertrag seine Lücken hat; es ist das 
aber leicht gesagt, wenn man keine Verantwortlichkeit hat. Wie 
wars denn, wenn ich mich weigerte und nichts zu stande kam? 
Es läßt sich gar nicht ausdenken, welche Verlegenheiten die Folge 
gewesen wären, und so hatte ich eine Heidenangst über die Unbe— 
fangenheit der zentralistischen Reichstagsmitglieder.“ — „Ich habe 
übrigens heute seit langer Zeit wieder ein paar Stunden recht gut 
und fest geschlafen. Zuerst konnte ich nicht in Schlaf kommen vor 
allerlei Sorgen und Gedanken. Dann erschien mir plötzlich Varzin, 
ganz deutlich, bis ins kleinste, wie ein großes Bild, mit allen 
Farben sogar — grüne Bäume, Sonnenschein auf den Stämmen, 
blauer Himmel darüber. Ich sah jeden einzelnen Baum. Ich be— 
mühte mich, es los zu werden, aber es kam immer wieder und 
quälte mich, und als ichs zuletzt aus dem Gesichte verlor, kam 
andres, Akten, Noten, Depeschen, bis ich endlich gegen morgen 
einschlief.“ 
Das Gespräch wandte sich dann auf das schöne Geschlecht hier 
zu Lande, und der Chef sagte: „Ich bin ziemlich viel durch Frank— 
reich gekommen — auch im Frieden, ja —, ich erinnere mich aber 
nicht, irgendwo ein hübsches Landmädchen gesehen zu haben, oft 
aber abschreckend häßliche Dinger. — Aber ich glaube, daß es welche 
giebt, nur gehen sie, wenn sie hübsch sind, nach Paris und ver— 
werten es.“ 
Gegen den Schluß hin beschäftigte sich die Unterhaltung mit 
der ungeheuern Verwüstung, die der Krieg über Frankreich gebracht 
hat, wobei der Minister u. a. bemerkte: „Ich sehe noch voraus, 
daß alles leer und herrenlos wird, und daß man wie nach der 
Völkerwanderung verdienten Pommern und Westfalen die Ländereien 
verleiht.“ 
Nach Tische mit Haber, der morgen nach Bougival auf Vor— 
posten geht, wo beiläufig dieser Tage eine französische Granate in 
ein Haus gefahren ist und mehrere Leute verwundet hat, im Hotel 
de Chasse ein Glas Bier getrunken. Sein Vetter war dabei, der 
Arzt im Schloßlazarett ist. Dieser kam auf den Besuch zu sprechen, 
den der Chef neulich in den Krankensälen gemacht hatte, und meinte, 
der dabei von ihm als verdächtig behandelte Doktor wäre in der 
Art, wie der Herr Bundeskanzler angenommen hatte, wirklich nicht
	        
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