Full text: Tagebuchblätter. Erster Band. (1)

15. Dezember Vierzehntes Kapitel 527 
schuldig, wenn die Leute ungenügend versorgt würden, ebensowenig 
der andre Angeklagte. Der Wärter, der unserm Grafen über die 
Vernachlässigung der Kranken berichtet hätte, wäre ein Säufer und 
in jeder Beziehung unzuverlässig. Die Schuld trüge zunächst die 
zu knapp bemessene „Form“ der Krankenkost in den preußischen 
Spitälern. Die Leute könnten davon nicht leben und nicht sterben. 
Ohne die Beiträge der freiwilligen Krankenpflege, ohne Liebesgaben 
ginge es gar nicht, und die hätte jener Arzt durch schroffes und 
kurz angebundnes Benehmen gegen solche, die Gaben hätten bringen 
wollen, z. B. gegen französische Damen, vielfach geschmälert. 
Abends beim Thee war zuerst nur Bucher zugegen. Er erzählte 
mir bei dieser Gelegenheit, daß Delbrück „der liberale Minister“ 
ist, der mit den Liberalen zusammenhält und „an die Zukunft 
denkt.“ — „In seiner ersten Zeit — so fuhr er fort — sprach der Chef 
einmal mit ihm und bot ihm das Handelsministerium an. Er lehnte 
aber ab, indem er sagte: Ja, Exzellenz, mit Ihnen dauert es doch 
nicht lange, und da möchte ich lieber nicht annehmen. Was soll 
ich machen, wenn Sie abtreten? Da mußte ich doch auch gehen und 
dem Staatsdienst entsagen, und das geht doch nicht an.“ 
Dann kam Keudell dazu, der ziemlich gedrückt und besorgt war 
über die riesigen Aushebungen Gambettas, die man, wie er beim 
Generalstabe gehört hat, auf 1300000 Mann veranschlagt. Zwar 
hatte er auch von Moltkes Leuten erfahren, daß wir achtzig= bis 
neunzigtausend Mann neuer Truppen bekommen sollten, er glaubte 
aber, daß wir eine halbe Million haben müßten; denn wie wäre 
es, wenn die Franzosen von Südosten herauf mit 300000 Mann 
einen Vorstoß auf unfre dünne Verbindungslinie mit Deutschland 
ausführten? Wir könnten dann leicht in die Notwendigkeit kommen, 
Paris sich selbst zu überlassen. — Wohl eine zu melancholische Auf- 
fassung der Sachlage. 
 
	        
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