Full text: Tagebuchblätter. Erster Band. (1)

554 Fünfzehntes Kapitel 20. Dezember 
„Das bringt mich auf den alten Grafen Adlerberg — sagte 
der Minister —, der hatte auch so ziemlich alles falsch an sich, 
Haare, Zähne, Waden, ein Auge. Wenn der sich früh anziehen 
wollte, lag die größere Hälfte und die bessere von ihm neben dem 
Bett auf Stühlen und Tischen herum. Es war wie mit dem Neu— 
verheirateten in den Fliegenden Blättern, als die Braut sich aus— 
zog und die Haare dahin und die Zähne dorthin legte, andre Teile 
anderswohin. Da sagte der Bräutigam: »Aber was bleibt denn 
nun für mich?“ Adlerberg sei übrigens, so fuhr er fort, sehr lang- 
weilig gewesen, und es sei seine Schuld, wenn die Gemahlin des 
Chefs einmal bei einem diplomatischen Essen, wo man sie zwischen 
Adlerberg und Stieglitz gesetzt habe, in Ohnmacht gefallen sei. 
„Sie hat nämlich die Gewohnheit, wenn sie große Langeweile em- 
pfindet, in Ohnmacht zu fallen — erläuterte er —, und deswegen 
nehme ich sie nicht zu diplomatischen Diners mit.“ 
„Da machen Sie den Herren Diplomaten ein schönes Kompli- 
ment,“ erwiderte der Kronprinz. « 
Der Chef erzählte hierauf, daß die Wache an seiner Wohnung, 
ein Pole, ihn neulich abends nicht habe ins Haus lassen wollen; 
erst als er sich mit ihm auf polnisch verständigt hätte, sei der Mann 
andern Sinnes geworden. „Auch im Lazarett — setzte er hinzu — 
versuchte ich vor ein paar Tagen mit polnischen Soldaten zu sprechen, 
und sie sahen sehr verklärt aus, als sie den Herrn General ihre 
Muttersprache reden hörten. Schade, daß ich damit nicht fortkonnte 
und mich abwenden mußte. Es wäre vielleicht gut, wenn ihr Feld- 
herr mit ihnen sprechen könnte." 
„Bismarck, da kommen Sie mir wieder mit dem, was Sie 
mir schon mehrmals gesagt haben,“ erwiderte lächelnd der Kron- 
prinz. „Nein, ich mag aber nicht, ich wills nicht lernen. Ich mag 
sie einmal nicht.“ — „Aber es sind doch gute Soldaten, König- 
liche Hoheit — entgegnete der Kanzler —, und brave Leute, wenn 
man ihnen beigebracht hat, daß es schön ist, sich zu waschen, und 
daß sie nichts mitgehen lassen dürfen.“ 
Kronprinz: „Ja, aber wenn sie den Soldatenrock ausgezogen 
haben, sind sie die Alten wieder, und im Grunde sind und bleiben 
sie uns doch feind.“ 
Chef: „Das letztere gilt doch nur von den Edelleuten und den
	        
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