21. Mai Erstes Kapitel 29
derbnis im Auslande gesucht hätte. Wir glauben dem aber auch
direkt widersprechen zu können, da es uns bekannt ist, daß die
Kaiserin wiederholt junge Deutsche den jungen Franzosen als Muster
empfohlen hat. Auch in den gesellschaftlichen Sitten, und in diesen
nicht am wenigsten, zeigt es sich, daß die Franzosen eine gesunkene
Nation sind und Generationen gebrauchen werden, um wieder empor—
zukommen. Leider ist es in diesem Punkte mit ganz Europa
bergab gegangen.“!1
Vom 13. April bis 28. Mai den Grafen nicht gesprochen.
Er war erkrankt (Ursache, wie man im Ministerium behauptete,
der Arger über den Unfug der „Fraktion Lasker,“ daneben ein
Diner bei Camphausen, bei dem er sich den Magen verdorben hat;
sein Übel soll mit der Galle zusammenhängen) und reiste einen Tag
vor Ostern noch kränklich nach Varzin ab.?2
Am 21. Mai kehrte der Minister aus Hinterpommern nach
Berlin zurück. Erst sieben Tage später zu ihm gerufen, erhielt ich
von ihm folgende Weisungen: „Braß soll nicht so stark für die
OÖsterreicher ins Zeug gehn, desgleichen nicht so warm von
Napoleons Regierung reden. Bei ersterm warten wir wohlwollend
ab, was herauskommt, doch macht uns Klaczkos Ernennung und
Wirksamkeit im Ministerium bedenklich. In Paris ist Gramonts
Berufung an die Spitze des Auswärtigen auch nicht gerade an-
genehm für uns. Die Tschechen sollen nach Möglichkeit geschont
werden, dagegen sind die Polen als unfre Feinde zu behandeln.“
Als ich darauf nach seiner Gesundheit fragte, erwiderte er,
daß er sich noch schwach fühle und Varzin nicht verlassen haben
würde, wenn es im Reichstage nicht so bedenklich gestanden hätte.
Sobald es anginge, reise er wieder ab — womöglich in den
nächsten Tagen —, um eine Kur mit Karlsbader Wasser zu ge-
brauchen, und dann würde er wahrscheinlich ein Seebad besuchen.
Am ersten Pfingsttage äußerte er sich, als ich zu ihm ge-
rufen wurde, in hohem Grade ungehalten über eine Korrespondenz
der Kölnischen Zeitung, in der berichtet wurde, daß in der
1 Vgl. G. u. E. I, 153.
2 14. April. Horst Kohls Bismarck-Regesten I, 391. In Varzin er-
krankte der Kanzler an der Gelbsucht.