Full text: Tagebuchblätter. Erster Band. (1)

30 Erstes Kapitel 5. Juni 
Spandauer Patronenfabrik Mangel an Arbeitern herrsche. „Also 
ungewöhnliche Thätigkeit in der Herstellung von Kriegsmaterial,“ 
sagte er. „Wenn ich zweimal zu dem Könige nach Ems reise, so 
beunruhigt das im Auslande nicht so sehr wie solche unbedachtsame 
Nachrichten. Ich bitte, gehen Sie doch zu Wehrmann. Er soll 
sich im Kriegsministerium erkundigen, ob der Artikel dort veranlaßt 
worden ist, und, wo möglich, von da aus eine Widerlegung er- 
wirken, die in der Kölnischen oder bei Braß an hervorragender 
Stelle erscheinen müßte.“ 
Nachzutragen von Zettel ohne Datum: Bohlen neckte Bucher 
gestern mit seiner „Ostermission.“ Derselbe scheint in Spanien ge- 
wesen zu sein. Zettel aus dem Mai?l 
  
1 Zum Verständnis dieser Bemerkung und der beginnenden Verwicklung 
mit Frankreich diene folgendes: Nachdem Prinz Leopold von Hohenzollern, den 
die Spanier schon 1868 für ihren durch die Verjagung der Königin Isabella im 
September erledigten Thron in Aussicht genommen hatten, im September 1869 
auf der Weinburg am Bodensee mit dem Vertreter der spanischen Cortes Salazar 
9 Mazaredo, den der preußische Gesandte von Werthern in München bei ihm ein- 
führte, über seine Wahl verhandelt haite, ohne eine bindende Zusicherung zu 
geben, nahm die spanische Regierung (Marschall Prim) im Februar 1870 die 
Sache wieder kräftig auf, und gegen Ende des Monats erschien Salazar abermals 
in Deutschland. Graf Bismarck unterstützte den Plan aufs nachdrücklichste, da die 
Annahme der spanischen Krone eine „politische Notwendigkeit“ und im „Staats- 
interesse“ sei. Ausgehend offenbar von der sehr begründeten Befürchtung eines 
französisch-österreichischitalienischen Angriffsbündnisses (siehe oben zu S. 15) 
legte er großes Gewicht darauf, in Spanien eine Regierung zu begründen, die 
von Frankreich unabhängig, nicht ultramontan und imstande sei, das Land zu 
reorganisieren, womit sich auch handelspolitische Vorteile für Deutschland ver- 
binden könnten. Er hob diese Gesichtspunkte in einer Denkschrift an König 
Wilhelm hervor und trat am 15. März bei einer Besprechung der hohenzollernschen 
Fürsten im Berliner Schlosse, an der auch Moltke, Roon, Delbrück, von Schleinitz 
und andre teilnahmen, „mit großer Wärme“ für die Annahme der Krone ein, 
die auch der Vater und der Bruder des Prinzen (Fürst Karl von Rumänien) 
befürworteten. Um den zögernden Prinzen zu bestimmen, sandte Bismarck am 
3. April Lothar Bucher und den Major vom Generalstabe Max von Versen nach 
Spanien. Diese wurden dort sehr freundlich ausgenommen und erstatteten günstige 
Berichte. Da jedoch der König dem Prinzen die Annahme nicht befehlen wollte, 
so lehnte Leopold schließlich ab, und auch sein jungerer Bruder Prinz Friedrich 
konnte sich nicht zu einer Zusage entschließen. Damit gab der Vater, Fürst Karl 
Anton, die Sache auf (22. April) und telegraphierte in diesem Sinne an Bucher 
nach Spanien. Trotzdem hielt Prim seine Hoffnungen aufrecht, und endlich,
	        
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