58 Zweites Kapitel 11. August
wir alle Zimmer übervoll fanden, und auch von dem, was Leib
und Seele zusammenhält, nichts mehr zu haben war. Indes hätten
wir auch von günstigern Verhältnissen wenig Gebrauch machen
können; denn wir erfuhren hier, daß der Graf mit dem Könige
schon weiter und vermutlich in Saarbrücken sei, und es hieß eilen,
wenn wir ihn noch in Deutschland einholen wollten.
Wieder in die Sündflut hinaus zu müssen, war nicht er-
freulich. Aber man konnte sich einigermaßen darüber hinweg-
philosophieren, wenn man an andre dachte, die viel schlimmer
daran waren. In der Wirtsstube der Post hatten die Schlafenden
in einem Gemisch von Tabak-, Bier= und Lampendunst mit einer
ebenfalls nicht aromatischen Beigabe vom Geruche feuchten Tuches
und Leders auf Tischen und zusammengeschobnen Stühlen herum-
gelegen. In einer Senkung links vom Bahnhofe schmauchten, halb er-
loschen in der nassen Nacht, die Wachtfeuer eines großen Lagers —
sächsischer Landsleute, wenn man unste Frage richtig beant-
wortet hatte. Als wir nach unserm Zuge zurückwateten, blitzten
uns durch den schräg herabströmenden Regen die Pickelhauben und
Gewehrläufe eines preußischen Bataillons entgegen, das sich vor
dem Bahnhofshotel aufstellte. Gründlich durchnäßt und ziemlich
müde geworden, fanden wir endlich wieder ein Unterkommen in
einem Güterwagen, wo Deichmann für sich und mich in einer
schmalen Seitenabteilung ein Plätzchen am Fußboden zum Aus-
strecken und ein paar Hände voll Stroh zum Kopfkissen entdeckte.
Die beiden andern Reisegefährten hatten es nicht so gut. Sie
mußten unter Postpaketen, Briefträgern und Trainsoldaten auf
Kisten vorliebnehmen, und der arme Professor war augenscheinlich
sehr angegriffen und ziemlich kleinlaut geworden.
Gegen ein Uhr setzte sich der Zug langsam in Bewegung. Nach
mehrmaligem Stillstand hielten wir, als der Morgen graute, in
der Nähe eines Städtchens mit schöner alter Kirche. Im Thale
daneben lag eine Mühle, an der sich die Chaussee nach Saar-
brücken hinschlängelte. Wir hörten, daß dieses noch eine starke halbe
Meile entfernt sei, und waren somit dem Ziele sehr nahe; aber
unfrer Lokomotive schien der Atem ausgegangen zu sein, und jeden
Augenblick konnte das Hauptquartier aufbrechen und die Grenze über-
schreiten, jenseits deren es vorläufig keine Eisenbahn und aller