Full text: Tagebuchblätter. Zweiter Band. (2)

94 Achtzehntes Kapitel 27. Januar 
nicht eingehen wollte. Da es still bleibt, werden die Herren nach— 
gegeben haben. Aber Gambetta? 
Früh über die glücklichen Operationen unsrer Armeen gegen 
Bourbaki ein Telegramm abgelassen. Um halb neun Uhr kommt 
Moltke, der ungefähr drei Viertelstunden mit dem Chef konferiert. 
Kurz vor elf Uhr erscheinen die Franzosen: Favre, der sich seinen 
grauen Demagogenbart gestutzt hat, mit seiner prononcierten Unter— 
lippe, seiner gelblichen Gesichtsfarbe und seinen hellen Augen, General 
Beaufort d'Hautpoule mit seinem Adjutanten Calvel und ein „Chef 
der Ingenieure der Ostbahn,“ Dürrbach. 1 Beaufort soll am 19. den 
Angriff auf die Schanze bei Montretout geleitet haben. Die Ver- 
handlungen der Herren mit dem Chef scheinen rasch zum Ziele ge- 
führt oder sich zerschlagen zu haben. Schon bald nach zwölf Uhr, 
als wir uns oben zum Frühstück gesetzt haben, steigen sie vor der 
Hinterfront des Hauses wieder in die Wagen, die sie hierherge- 
bracht haben. Favre sieht niedergeschlagen aus, der General hat 
ein auffällig rotes Gesicht und — scheint nicht recht fest auf den 
Beinen zu sein! Auch den andern ist das aufgefallen. 
Bald nachdem die Franzosen fort sind, tritt der Kanzler zu 
uns herein und sagt: „Ich will bloß ein wenig Luft schöpfen. 
Lassen die Herren sich nicht stören!“ Dann bemerkt er kopfschüttelnd 
zu Delbrück gewendet: „Nichts mit ihm anzufangen! Unzurechnungs- 
fähig — ich glaube, angetrunken. Ich habe ihm gesagt, er möge 
sich bis halb zwei besinnen, vielleicht erholt er sich.“ — „Verbranntes 
Gehirn, schlechte Manieren! Wie heißt er denn eigentlich? So was 
wie Bouffre oder Pauvre?“ 
Keudell sagt: „Beaufort.“ 
Chef: „So. Ein vornehmer Name, aber keine vornehmen Ma- 
nieren.“ 
Der gute General scheint also in der That — vielleicht durch 
Hunger in seiner gewohnten Kapazität geschwächt — sich mehr, als 
er verträgt, zugemutet und zu stark gefrühstückt zu haben. 
  
1 Außerdem Graf Herisson, Favres Ordonnanzoffizier, der auch über diese 
Begegnung berichtet hat im Journal d'un officier dordonnance, bei Poschinger, 
Tischgespräche I, 61 ff. Auch General Beaufort hat später darüber Aussagen 
gemacht; er war, wie er behauptet, nur äußerst erregt, a. a. O. 62. Vgl. auch 
Wageners Charakteristik, a. a. O. 66. Schneider III, 170.
	        
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