30. Januar Achtzehntes Kapitel 111
Nachmittags mit Landgraf hinaus bis zur Seinebrücke bei
Seèvres und von dort nach Meudon zu bis Bellevue gefahren, wo
man auf dem Wege, der zuletzt vom Flußufer sehr steil hinaufgeht,
fast nur Soldaten sah. Ein Verhau, bei dem ein Jägerposten war,
versperrte die Weiterfahrt. Von den Soldaten hörten wir zu unsrer
Überraschung, daß Schloß Meudon in vollen Flammen stehe. Eine
französische Granate sollte während der letzten Tage des Bombarde—
ments in eine Stubenwand gefahren, dort stecken geblieben und
später durch Zufall explodiert sein. Vielleicht ist der Zufall auch
Unvorsichtigkeit gewesen. Es wird übrigens eine hübsche Ruine geben,
so was wie das Heidelberger Schloß.
Favre und andre Franzosen, darunter der Präsident oder
Präfekt der Pariser Polizei, arbeiteten den Nachmittag wieder fleißig
mit dem Chef und dinierten dann um halb sechs Uhr mit ihm und
den Räten.1 Ich und die Sekretäre sollten diesmal im Hotel des
Reservoirs speisen, da es am Tische an Platz mangelte. Ich blieb
indes zu Hause, übersetzte Granvilles neuste Friedensanregung für
den Kaiser und aß dann auf meiner Stube.
Abends kam Abeken zu mir herauf, um sich die lbersetzung
abzuholen. Er bedauerte, nicht gewußt zu haben, daß ich zu Hause
geblieben wäre, man hätte dann unten für mich noch Raum gemacht.
Es wäre schade, daß ich nicht dabei gewesen sei, da das Tisch-
gespräch heute ein ganz besondres Interesse gehabt hätte. Der Chef
habe da u. a. zu den Franzosen gesagt, konsequent sein in der
Politik werde häufig zum Fehler, zu Eigensinn und Selbstwillig-
keit. Man müsse sich nach den Thatsachen, nach der Lage der
Dinge, nach den Möglichkeiten ummodeln, mit den Verhältnissen
rechnen, seinem Vaterlande nach den Umständen dienen, nicht nach
seinen Meinungen, die oft Vorurteile wären. Als er zuerst in die
Politik eingetreten sei, als grüner, junger Mensch, habe er sehr
andre Ansichten und Ziele gehabt als jetzt. Er habe sich aber ge-
ändert, sichs überlegt und sich dann nicht gescheut, seine Wünsche
teilweise oder auch ganz den Bedürfnissen des Tages zu opfern, um
zu nützen. Man müsse dem Vaterlande nicht seine Neigungen und
1 Über diese Tischgespräche Abeken 496 ff. vom 30. Januar abends und
Cresson (Polizeipräfekt) bei Poschinger a. a. O. 1, 66 ff.