Full text: Tagebuchblätter. Zweiter Band. (2)

130 Achtzehntes Kapitel 2. Februar 
halbe Million Truppen und überdies noch zweihundertfünfzigtausend 
Menschen mehr, bereit, zur Armee zu stoßen oder ihre Depots zu 
verlassen. Wir haben noch nicht einmal das Kontingent von 1871 
berührt, und wir haben die verheirateten Männer noch nicht in die 
Regimenter eingereiht. Jenes wird uns dreimalhunderttausend Re— 
kruten liefern, und die letzten werden zwei Millionen kräftiger Leute 
stellen. Waffen kommen uns von allen Seiten zu, an Geld fehlt 
es auch nicht. Die Nation mit Inbegriff aller politischen Schat— 
tierungen ist auf unsrer Seite, und es wird sich einfach darum 
handeln, wer von beiden am stärksten und ausdauerndsten ist, unser 
Volk oder das deutsche Volk. Nein — so fuhr er fort, indem er 
mit der Faust heftig auf seinen Schreibtisch schlug —, ich betrachte 
es als eine mathematische Unmöglichkeit, daß wir, wenn wir Aus— 
dauer haben und den Krieg fortsetzen, nicht am Ende dahin ge— 
langen, den eingedrungnen Feind aus Frankreich hinauszutreiben. 
Jede vierundzwanzig Stunden sind für uns nur ein Tag, aber bei 
unsern Feinden vermehrt jede Stunde Verzögerung die Schwierig— 
keiten. England hat einen großen Irrtum begangen, daß es sich 
nicht eher eingemischt, und daß es Preußen nicht gesagt hat, bei 
Überschreitung einer gewissen Grenze würde es in den Augen Eng— 
lands den Kriegsfall herbeiführen.“ 
Bald nach ein Uhr kamen die Franzosen wieder, aber der Chef 
war mit dem Kriegsminister ausgeritten, wie man vermutete, nach 
einem der Forts oder einem Punkte mit weiter Aussicht, denn sie 
hatten Ferngläser mitgenommen. Gerstäcker und Duboc besuchten 
mich, und ich ging mit Duboc, der sich als Korrespondent im Lager 
der Sachsen aufhält, auf eine Stunde in den Schloßpark. Bei der 
Rückkehr erfuhr ich, daß der Chef in St. Cloud gewesen ist, und 
daß die Franzosen inzwischen in unserm Park auf ihn gewartet haben. 
Bei Tische hatten wir zu Gästen Odo Russell und einen großen 
starken jungen Herrn in dunkelblauer Uniform, der mir als Graf 
Bray, Sohn des Ministers und früher bei der bayrischen Gesandt- 
schaft in Berlin gewesen, bezeichnet wurde. 
Der Chef äußerte zu Russell: „Die englischen Zeitungen und 
auch einige deutsche haben meinen Brief an Favre getadelt und zu 
stark gefunden. Er selbst aber scheint dieser Meinung nicht zu sein. 
Er sagte mir von freien Stücken: „Sie haben recht gehabt, mich
	        
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