178 Zwanzigstes Kapitel
bis zum Frühling des Jahres 1881 die deutsche Geschichte und,
da wir das neugeborne, an die ihm gebührende Stelle erhobne
Deutschland ohne Überhebung als eine der maßgebenden Mächte
Europas betrachten dürfen, ein guter und vielleicht der beste Teil
der allgemeinen Geschichte Europas gemacht worden, soweit sie
politischer Natur ist. Es war eine Stätte großartigsten Denkens
und Wirkens, und über eine solche so genau zu unterrichten, sie
der Leserwelt so deutlich zu vergegenwärtigen, als die Diskretion es
irgend gestattet, scheint mir ein dankenswertes Unternehmen zu sein,
und zwar namentlich dann, wenn das betreffende Haus, wie das
unfrige, sich gegenwärtig wesentlich umgestaltet hat und mit der Zeit
den Blicken der Menschen wahrscheinlich ganz entschwinden wird.
Wie wohnte der politische Regenerator unsers Volks, wie lebte
er in der Zeit, da er sein Werk begann und in seinen wichtigsten
Teilen ausführte, und wie war der Apparat beschaffen, mit dem
er arbeitete? So werden sich unfre Urenkel und deren Enkel, so
werden sich die Geschlechter nach ihnen fragen, wie man sich jetzt
in betreff der Heroen fragt, die an der Spitze der beiden voran-
gehenden Regenerationsepochen des Lebens der Deutschen standen,
in betreff Luthers, der uns kirchlich befreite und verjüngte, und
Goethes und Schillers, der beiden Zentralsonnen der Tage, wo
auf dem litterarischen Gebiete aus Nacht und Dämmerung heller
Morgen geworden war. Die Stube, wo Bruder Martin, der
Wittenberger Augustinermönch, im Oktober 1517 die fünfundneunzig
Sätze entwarf, mit denen er dem Papsttum den ersten wuchtigen
Schlag versetzte, das Haus und das Zimmer, wo Faust und Gretchen
und Wilhelm Meisters Lehrjahre vollendet wurden, das, wo die
gewaltige Tragödie vom Friedländer der Phantasie des Dichters
entsprang, sind von pietätvollen Händen in dem Zustande erhalten
worden, in dem sie sich befanden, als die hohen Geister, die in
ihnen walteten und schufen, die Welt noch nicht verlassen hatten.
Ahnliches gilt von Sanssouci, dem Schlosse des großen Friedrich.
Über Wilhelmstraße Nummer sechsundsiebzig steht kein so günstiger
Stern. Noch bei Lebzeiten des frühern Bewohners dieses Hauses,
und unmittelbar nach dessen Umzug in das für ihn umgebaute
Nachbarpalais, haben die innern Räume erhebliche Veränderungen
erfahren, indem auch das obere Stockwerk zu Büreaus verwendet