Full text: Tagebuchblätter. Zweiter Band. (2)

Zwanzigstes Kapitel 179 
werden sollte. Später aber und vielleicht in nicht sehr ferner Zeit 
werden Arbeiter mit Hacke und Schaufel kommen, um die histo— 
rischen Mauern und Wände niederzureißen und abzutragen. Die 
Steine und das Holzwerk, die, als sie noch Haus waren, den 
größten Staatsmann der jetzigen Welt beherbergten, die Fenster, 
durch die ihm die Sonne zu den bedeutungsvollsten Arbeiten schien, 
werden von Unternehmern zu ordinären Zwecken weggebracht werden. 
Die Tapeten, deren Figuren bei den folgenreichsten Beratungen 
und Unterredungen Zeugen waren, wird der Wind vermutlich in 
Fetzen nach obskuren Winkeln führen, denn nach Wegräumung des 
Schuttes wird sich an der leeren Stelle ein anspruchsvolles zwei- 
oder dreistöckiges Prachtgebäude erheben, vor dem das alte in Ver- 
gessenheit geraten wird. 
Dem muß so sein, sagt der Verstand. Das kleine Haus, in 
dem er wohnte, mag verschwinden, wenn nur das große, das er baute, 
von seinem Geist erfüllt stehen bleibt. Das Gemüt aber, dem das 
Haus mit seinen Insassen verwachsen erscheint, wie die Schale mit 
der Perlmuschel, beansprucht, meine ich, sein Recht gleichfalls, und 
so möge ihm sein Wille geschehen, indem gesorgt wird, daß die 
dem Untergange entgegengehenden Räume dereinst wenigstens in 
Wort und Schrift fortleben. 
Wilhelmstraße sechsundsiebzig, in den anderthalb Jahrzehnten, 
in denen der Minister von Bismarck unter seinem Dache weilte, 
das vornehmste und zuletzt das einflußreichste Auswärtige Amt der 
Welt, war seinem Außern und Innern nach zugleich das unschein- 
barste und unbequemste. Eine Präfektur in einer französischen 
Mittelstadt — man denke an die in Versailles und Nancy — ist 
in der Regel geräumiger und stattlicher als das enge und alt- 
modische Gehäuse, worin der Kanzler des Deutschen Reiches mit 
den Beamten der politischen Abteilung des Auswärtigen Amts fast 
sechzehn Jahre untergebracht war. Dem Minister in einer Zeit 
zugewiesen, wo Preußen in der Reihe der europäischen Mächte nur 
gelegentlich im Ernste mitzählte, mochte es, so lange diese Zeit währte, 
nicht bloß genügen, sondern als Symbol der geringen Bedeutung 
des Staats nach außen hin bis zu einem gewissen Grade zweck- 
entsprechend sein. Seitdem Preußen einen höhern Rang gewonnen 
und aller Augen auf sich gelenkt hatte, seitdem seine Diplomatie 
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