190 Zwanzigstes Kapitel
die sich in den Künsten der Pathotechnik gefielen. „Ich habe
— erzählt General von Brandt in seinen „Denkwürdigkeiten““) — nie
jemand mit mehr Talent und Mäßigung sprechen hören als Bucher
bei dieser Gelegenheit (der Beratung der sogenannten Habeas-Corpus-
Akte in der zu ihrer Begutachtung niedergesetzten Kommission). Sein
blondes Haar, seine leidenschaftslose Haltung erinnerte mich lebhaft
an Bilder, die ich von St. Just gesehen. Bucher war ein rück-
sichtsloser Nivellierer alles Bestehenden, aller Stände und Ver-
mögen, eins der konsequentesten Mitglieder der Nationalversammlung
und zu jedem Schritt entschlossen, welcher seinem Ziele: Tugend in
den Prinzipien und Bruderliebe in den Einrichtungen, entgegenzu-
führen schien. Ohne Kenntnis der Gesellschaft, sterilen juristischen
Abstraktionen hingegeben, war er der vollkommnen Überzeugung, daß
das Heil der Welt nur aus einer plötzlichen kraftvollen Zertrüm-
merung des damaligen Staats und der vorhandnen Gesellschaft
hervorgehen könne. Er half den öffentlichen Widerstand organi-
sieren und verbreitete vorzugsweise den Gedanken, die ehrgeizige und
turbulente Fraktion der Nationalversammlung zur Ergreifung einer
Diktatur zu stacheln. Die ironische Geringschätzung, mit der er die
bestehende Gewalt behandelte, mit der er offen seinen Haß gegen
die alte Staatsverfassung darthat, und sein Dogma von der Sou-
veränität des Volkes, durch dessen radikale Chimäre er dieses selbst
berauschte, und zugleich seine Fähigkeit für die Rolle eines Dema-
gogen entwickelte, würde ihn bei einer längern Dauer alle seine
Anhänger in seinen streng logischen Bestrebungen haben überflügeln
lassen.“
Welchen Anschauungen Bucher in der Nationalversammlung
huldigte, wie er aber auch schon damals im Begriffe war, den
Juristen in politischen Angelegenheiten abzulegen, mag ferner ein
Passus aus der Rede zeigen, mit der er am 4. September den
am 9. August 1848 von Stein gestellten, erst einer Kommission
überwiesenen und schließlich in etwas milderer Form angenommnen
Antrag Hansemann und den Rednern der Rechten gegenüber ver-
teidigte, das Kriegsministerium aufzufordern, es möge die Offiziere
der Armee vor reaktionären Bestrebungen warnen und ihnen auf-
*) Juniheft der Deutschen Rundschau 1877.