Full text: Tagebuchblätter. Zweiter Band. (2)

198 Zwanzigstes Kapitel 
ehrung für den Kanzler und gleich tiefe Verachtung vor Schein— 
wesen und Strebertum. Seine Art als Gesellschafter war die eines 
nüchternen, wortkargen Mannes, dem es jedoch keineswegs an 
poetischem Sinne und Humor fehlte, und der manche gute Anekdote 
gut erzählte und zuweilen auch recht anmutig von seinen Kanarien— 
vögeln und den Alpenblumen seines Herbariums zu berichten wußte. 
Seine Gedanken und Empfindungen redeten eine leise Sprache, 
ohne jedoch der Energie zu ermangeln. Ein kühler Kopf, aber ein 
warmes Herz, ein stilles Wasser, aber klar und tief. Ich habe 
mehr Zeit und Raum auf sein Bild verwandt, als ich anfänglich 
beabsichtigte, aber ich glaube damit ein Unrecht gutgemacht zu 
haben, wenn ich mich erinnere, daß die Leute, die dem Grafen 
Caprivi den Reichsanzeiger anzufertigen hatten, Bucher, als er 
am 12. Oktober 1892 zu Glion am Genfer See in die Ewigkeit 
eingegangen war, nur mit drei dürren Zeilen bedenken zu dürfen 
meinten. — 
Kehren wir nun zu unserm Gange durch die untern Räume 
des Auswärtigen Amts der ersten siebziger Jahre zurück, so endigten 
die der Vorderseite neben Buchers Kabinett mit einem geräumigen 
Zimmer, worin der Wirkliche Geheime Legationsrat Dr. Hepke und 
gelegentlich sein denselben Haupttitel führender Kollege von Bülow, 
bisweilen auch der Baron von Keudell, dessen eigentliches Arbeits- 
lokal in dem Gebäude der zweiten Abteilung des Auswärtigen 
Amts ist, allerlei konzipieren und expedieren. Außer ihnen und 
ihren Pulten sind hier verschiedne Möbel, ein großes grün über- 
zognes Schlafsofa, auf dem Bucher in Mußestunden des Nach- 
mittags und des Abends sein vielgeplagtes Gehirn auszuruhen und 
neu zu stärken pflegt, ein Tisch mit Landkarten und Atlanten, ein 
Wandschrein mit Büchern und Broschüren, ein Waschapparat hinter 
einer spanischen Wand, worin ich mir die Hände in Unschuld waschen 
kann, wenn ich ein journalistisches Attentat begangen habe, über 
das die Parteien in Presse und Parlament Zeter schreien, sowie 
ein paar altmodische schrankartige Gerüste, die ihrer Form nach 
auch Altäre für irgend einen unbekannten Gott oder Dämon sein 
könnten. 
Uber Bülow bemerke ich nur kurz, daß er ein Mann der Routine 
und nicht ohne Neigung zur Intrigue sein soll. Hepke mag eine
	        
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