Full text: Tagebuchblätter. Zweiter Band. (2)

Zwanzigstes Kapitel 199 
etwas ausführlichere Charakterisierung verdienen, die gleich hier 
ihren Platz finden soll. 
Geheimrat Hepke, ein magerer, spitzer Fünfziger, ist keine sehr 
angenehme Persönlichkeit. Er hat etwas von dem Geheimrat, wie 
man ihn sich gewöhnlich vorstellt, starkes Selbstgefühl, das Be— 
wußtsein, ungefähr alles erheblich besser zu verstehen als andre, 
und wohl auch eine starke Einbildung auf seinen Rang und Titel. 
Früher Gymnasiallehrer in Posen gewesen, hat er schon unter 
Radowitz im Ministerium des Auswärtigen gearbeitet und dessen 
Unionspolitik in der Presse vertreten. Dann beschäftigte ihn das 
Ministerium der neuen Nra, unter dem er dem trägen und schwach- 
befähigten Staatssekretär von Gruner einen Teil seiner Arbeiten, 
und zwar den wichtigern, anfertigte, wofür er Legationsrat wurde. 
Jetzt ist er schon seit einiger Zeit oben beim Grafen in Ungnade 
und bloß noch dem Titel nach „vortragender" Rat; denn er ist 
von dem direkten Verkehr mit seinem Chef ausgeschlossen. Thile 
giebt ihm — „aus Mitleid“ sagte jemand — Kleinigkeiten zu thun, 
die hauptsächlich in Referaten über Kunst und Wissenschaft bestehen. 
Er soll in polnischen und jugoslavischen (südslavischen) Dingen gut 
unterrichtet sein. Der Grund davon, daß der Kanzler nichts mehr mit 
ihm zu schaffen haben will, soll nach einigen die Benutzung der 
Gedanken einer Denkschrift des Chefs zu einer Broschüre sein. Nach 
andern läge er in seiner politischen Meinung. Seine frühern An- 
sichten sind in einer Reihe von Flugschriften ausgesprochen, zu denen 
die Abhandlung Nondum meridies, „Das preußische Programm 
in der deutschen Frage“ und „Ein preußisches Wort“ gehören. In 
seiner letzten Broschüre vertrat er den Standpunkt, daß das preußische 
Staatswesen dem Aufgehen in Deutschland nicht entgegengeführt 
werden dürfe, daß es vielmehr eine geschichtlich gewordne Natio- 
nalität in sich schließe, um die sich das übrige Deutschland zu 
krystallisieren habe. Dies könne nur so weit geschehen, als die 
Spannkraft des preußischen Staatsorganismus reiche, dessen Funda- 
mente in einem wirklich regierenden Königtum mit dem in unmittel- 
barer Beziehung zu ihm stehenden Militärwesen und Beamtentum 
lägen, Fundamente, die man nicht lockern dürfe. In der Schrift 
„Ein preußisches Wort“ bekämpft er mit Geschick das Prinzip der 
Volkssouveränität, die im deutschen Parlament verwirklicht werden
	        
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