210 Zwanzigstes Kapitel
Zwischen den Fenstern hängen drei Spiegel über Marmorsimsen
auf vergoldeten Konsolen. Vor dem mitttelsten steht unter einer
Glasglocke ein geflügelter Knabe auf einem antiken Wagen von Gold
mit zwei blau und weiß emaillierten Rädern und zwei sich bäumenden
Goldpferden — eine Uhr. Das letzte dem Beschauer zugekehrte Rad
ist das Zifferblatt, die schwarzen Nummern stehen auf den Felgen.
Die Mitte des Saales nimmt ein großer runder Tisch ein. An
den Wänden ziehen sich Polsterlehnsessel, zwei große und zwei kleine
Sofas und Reihen von schwarz lackierten Rohrstühlen hin. In den
innern Ecken des Saales erheben sich zwei weiße Kachelöfen, in
den äußern niedrige Säulen von weißem Marmor mit Büsten. Die
zur Linken stellt den Kaiser Wilhelm, die zur Rechten dessen Vor-
gänger auf dem preußischen Throne dar. lber dieser lehnt eine
schwarz und weiße Fahne, an der ein Fahnenband in den Farben
des Deutschen Reichs befestigt ist, das die Inschrift trägt: „Wir
wollen sein ein einig Volk von Brüdern, in keiner Not uns trennen
und Gefahr.“ An der Wand, die dieses Zimmer vom Speisesaale
scheidet, bemerken wir ein Büffet von Nußbaumholz und einen
kleinen Schrank von demselben Material mit einer Marmorplatte.
Das Ganze macht den Eindruck des Hellen und Freundlichen. Es
ist elegant, aber keineswegs prächtig, vergleichsweise sogar einfach
zu nennen. Der Mangel an Gemälden und die völlig weiß ge-
bliebne Zimmerdecke geben ihm eine gewisse Leere und Einsamkeit,
und die altmodischen Beleuchtungsapparate stimmen nicht recht zu
dem Ubrigen. Der Kanzler ist auch in dieser Beziehung anspruchs-
loser und gleichgiltiger gegen Luxus und Eleganz als seine Kol-
legen in der diplomatischen Welt. Von den näherwohnenden nicht
zu reden — wie mag der französische Minister des Auswärtigen
sich vom Staate sein Hotel haben einrichten lassen?
Der Saal dient zu gesellschaftlichen Zwecken, doch speist der
Kanzler zuweilen hier auch mit seiner Familie, und das erinnert
mich an eine charakteristische Außerung von ihm. Am 6. April
1878 hatte ich die Ehre, von ihm zum Diner eingeladen zu sein.
Als er sich im Verlaufe des Tischgesprächs einen „alten Mann“
nannte und die Fürstin darauf einwandte: „Du bist aber doch erst
dreiundsechzig Jahre,“ erwiderte er: „Ja, aber ich habe immer schnell
und bar gelebt.“ Dann setzte er zu mir gewandt hinzu: „Bar —