226 Einundzwanzigstes Kapitel 18. April 1871
deutsche Allgemeine Zeitung haben will: „Eine Versammlung von
Katholiken jedes Standes und Berufes in München hat den Beschluß
gefaßt, den König Ludwig zu bitten, daß er mit allen gesetzlichen
Mitteln die gefährlichen Folgen der Unfehlbarkeitslehre abwehren,
ihre Verbreitung in den öffentlichen Bildungsanstalten verbieten
und rasch energische Fürsorge treffen wolle, daß das Verhältnis
zwischen Kirche und Staat auf dem verfassungsmäßigen Wege neu
geregelt werde. Die entworfne Adresse wurde auf der Stelle von
etwa zweihundert Personen unterzeichnet und ist an vielen Orten
zur Aufnahme von Beitrittserklärungen ausgelegt. In den meisten
Städten Bayerns wird ähnliches vorbereitet. Daß die Bewegung
gegen die Konzilsbeschlüsse aus der gelehrten Welt und dem geistlichen
Stande heraustreten und die Laien erfassen werde, war voraus zu
sehen. Daß dies gerade jetzt geschehen ist, ist unverkennbar dem
Auftreten der Partei im deutschen Reichstage zuzuschreiben, die den
Namen einer vorzugsweise katholischen für sich in Anspruch nimmt.
Ihren Mitgliedern wird jetzt ein neuer Beweis geliefert, daß sie
einen Mißgriff begangen haben, als sie in einer politischen Ver—
sammlung lediglich auf konfessioneller Basis mit Ausschluß der
politischen Stellung eine Fraktion bildeten und angriffsweise gegen
die übrigen Fraktionen und herausfordernd gegen die Bundesregierung
vorgingen. Die erste Lehre, die die Herren durch ihre Niederlage
im Reichstage erhielten, scheint noch nicht zur Selbsterkenntnis
geführt zu haben; denn anstatt den Grund davon in sich selbst zu
suchen, machen sie nach der Weise herrschsüchtiger Charaktere andre
dafür verantwortlich und bezeichnen es, wie man hört, als eine
Art von Felonie, daß die verbündeten Regierungen ihnen nicht bei—
gesprungen sind. Vielleicht wird die Bewegung in Bayern sie
überzeugen, und wenn diese nicht, so werden es künftige Ereignisse
thun. Denn die Logik der Dinge, die sich an ihnen rächt, wird
mit diesem Schritte nicht ruhen. Die Abweisung jeder politischen
Basis seitens der Klerikalen muß alle Parteien, die politische Zwecke
verfolgen, wie weit diese auch auseinander liegen mögen, der kirch-
lichen Partei gegenüber zu Verbündeten machen, und der Angriff,
den diese unpolitische Partei unternommen hat, wird die politischen
bewegen, gegen andre Angriffe geeignete Verteidigungsmaßregeln zu
ergreifen."