Full text: Tagebuchblätter. Zweiter Band. (2)

230 Einundzwanzigstes Kapitel 24. April 1871 
heutigen Franzosen und besonders der Pariser. Man rühmt sich, 
der Mittelpunkt des Kulturlebens, der Brennpunkt der Intelligenz 
der Gegenwart zu sein, und siehe da, immer hat man in den letzten 
Krisen seine Führer aus der Fremde genommen, sein Heil von Aus- 
ländern gehofft. Man ließ sich nach dem Sturze des Kaiserreichs 
von Gambetta tyrannisieren. Man setzte zu gleicher Zeit seine 
Hoffnung auf Garibaldi, einen andern Italiener, und derselbe würde 
jetzt in Paris Diktator sein, wenn er gewollt hätte. Statt seiner 
müssen es jetzt Polen von der bekannten Barrikadenheldenzunft thun, 
Dombrowski, Okolowitsch und andre. Daneben endlich der unter der 
Ordnungspartei fast allgemeine Wunsch, da in Versailles keine 
Energie zu sehen sei, möchten die Deutschen — also wieder Fremde — 
sich der Wiederherstellung gesetzlicher Zustände annehmen.e Kaum 
ein andres Volk der Welt (das Folgende fast ganz wörtliche Außerung 
des Kanzlers) würde sich in so kläglicher Weise seine Helden vom 
Auslande borgen, kaum ein andres wie diese Pariser, die sich als 
Creme der Zivilisation rühmen lassen, die in Wahrheit aber die Rot- 
häute des Straßenpflasters, ideenbar und willensschwach wie Wilde 
sind, sich von energischen, wenn auch sonst nicht bedeutenden Fremden 
den Zaum im Munde nach Zielen hinlenken lassen, die in jeder Be- 
ziehung ihren Interessen entgegen sind. In der That, eine geradezu 
abstoßende, über die Maßen erbarmenswerte Herabgekommenheit!“ 
24. April. Zum Chef geholt, erhielt ich diesen Abend Auf- 
trag und Information zu einem Artikel für die Kölnische Zeitung, 
der Nachstehendes sagte: „Wenn die französischen Schiffe, die zum 
Rücktransport von vierzigtausend französischen Kriegsgefangnen nach 
Glückstadt gekommen sind, unverrichteter Sache wieder zurückkehren 
müssen, so hat der Reichskanzler in seiner letzten Rede vor dem 
Reichstage die Gründe dafür mit hinreichender Deutlichkeit ange- 
geben. Nach dem Präliminarfrieden sollten die Gefangnen ausge- 
liefert werden, dagegen aber die französische Regierung bis zum 
definitiven Frieden mit Ausnahme von vierzigtausend Mann in Paris 
keine Truppen zwischen Seine und Loire aufstellen dürfen. Mit 
Rücksicht auf die Verlegenheit, die der Regierung des Herrn Thiers 
aus dem Kommunistenaufstand erwuchs, erhob man deutscherseits 
keinen Einspruch gegen die Ansammlung eines Heeres von mehr als 
vierzigtausend Mann bei Versailles, ja dieselbe wurde sogar durch
	        
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