Full text: Tagebuchblätter. Zweiter Band. (2)

270 Einundzwanzigstes Kapitel 2. Juli 1871 
wie er angeordnet, aufmerksam gemacht habe, daß er die Angriffe 
auf die französische Regierung sein lassen sollte. Ich erwiderte: „Ja, 
mehrmals schon, schriftlich und mündlich.“ Er sagte darauf: „Das 
muß ein Ende nehmen.“ Heute wollte er, daß ich Braß folgenden 
Artikel, zu dem er mir den Gedankengang angab, zuschicke: „Viel- 
fach ist die Frage erörtert worden, ob die Frankreich von Deutsch- 
land auferlegte Kriegskontribution zu hoch sei oder nicht, ob jenes 
die Last der fünf Milliarden zu tragen imstande sein werde oder 
nicht. Die einen bejahten die Frage, die andern verneinten sie, 
wieder andre waren zweifelhaft. Jetzt dürfen wir dieselbe für er- 
ledigt halten, und zwar durch das Programm, das Herr Thiers 
vor der Nationalversammlung in Versailles zunächst in betreff der 
Anleihe und der Finanzlage Frankreichs, dann in Bezug auf die 
Zukunft der letztern überhaupt entwickelt hat. Frankreich ist ohne 
Zweifel genötigt, sich sparsamer einzurichten als bisher. Es hat 
die Erträge seiner Hilfsquellen zu steigern und andrerseits sie mög- 
lichst zusammenzuhalten. Gleichwohl denkt Herr Thiers nicht im 
entferntesten an Verminderung der Armee oder der Flotte, an denen 
doch am meisten zu sparen wäre. Im Gegenteil, er will beide 
wieder auf den hohen Zahlenstand gebracht und auf demselben 
erhalten wissen, ja er will das Heer durch eine Reserve von 900000 
Mann verstärkt haben. Wir erblicken darin den deutlichsten Beweis, 
daß man in den Kreisen der Versailler Regierung den Gedanken, 
daß Frankreich zur Beherrschung Europas berufen sei, noch keines- 
wegs aufgegeben hat, und daß man nach wie vor an der Redens- 
art festhält, die bei Gelegenheit der Rundreise des Herrn Thiers 
im Herbste die Hoffnung und das Selbstgefühl des französischen 
Politikers ausdrückte: L'Europe ne veut pas changer le maftre. 
Nun aber, wenn die französische Regierung dasselbe Militärbudget 
wie vor dem Kriege aufzustellen gedenkt, wenn die Franzosen, wie 
es scheint, ohne zu unterliegen, unter Verhältnissen, ungünstiger als 
die frühern, die alte Militärlast vertragen zu können glauben, so 
muß die ihnen abverlangte Kontribution eher zu niedrig als zu 
hoch bemessen gewesen sein. Ferner aber: nirgends ist Frankreich 
gefährdet oder bedroht, und so verrät die Absicht zu so formidabler 
Rüstung offenbar aggressive Gedanken, so ist deren Außerung einer 
Drohung für die Nachbarn gleich zu achten. Aus beiden Gründen
	        
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