274 Einundzwanzigstes Kapitel 5. Juli 1871
aufmerksam, daß das genannte Organ seit kurzem wieder als ein
hochoffiziöses zu betrachten sei. »Seit der Professor Aegidi — so
schreibt der Korrespondent — einer der bedeutendsten und geachtetsten
Rechtslehrer Deutschlands und zugleich schlagfertiger Publizist, zur
obersten Preßleitung ins Auswärtige Amt berufen wurde, schenkt
man der Presse im allgemeinen, die man früher bereits vornehm
ignorieren zu können meinte, größere Aufmerksamkeit, und er ist
namentlich bedacht, in die offiziöse Presse eine feste, einheitliche
Richtung zu bringen. Die Norddeutsche Allgemeine Zeitung ist
wieder als Hauptorgan der offiziösen Publizistik bestimmt, und
können seit 1. Dezember alle jene Leitartikel des »Politischen Tages—
berichts«, welche sich auf auswärtige Angelegenheiten, auf Reichs—
angelegenheiten, auf die Beziehung der Bundesstaaten zur Präsidial—
macht, auf das Verhältnis der Staatsgewalt zur Kirche beziehen,
als der Ausdruck der unmittelbaren Anschauungen der obersten
deutschen Reichsbehörde betrachtet werden.« Der Korrespondent will
aus zuverlässiger Quelle erfahren haben, daß Professor Aegidi
meistenteils den »Politischen Tagesbericht« redigiert und dabei die un—
mittelbar vom Reichskanzler eingeholten Informationen verwertet.“
Der Chef war außer sich über diesen Artikel. Aegidi wurde
zu ihm gerufen und kam, wie die Herren im Zentralbüreau bemerkt
haben wollten, ganz verdutzt und mit einem roten Kopfe wieder.
Er stellte in Abrede, die Pester Mitteilung veranlaßt zu haben.
Wir erfuhren aber bald, daß sie von einem gewissen Julius L.,
einer litterarischen Kapazität niedrigsten Ranges und unsaubersten
Rufes, herrührte, die erst Keudells Bedürfnissen gedient hatte und
jetzt in intimer Verbindung mit Aegidi stand.
Ich hätte jetzt vielleicht um meinen Abschied bitten sollen.
Indes hielten mich gewisse Erwägungen noch einige Zeit davon
zurück. Ich konnte noch lernen, und ich bemerkte binnen kurzem,
daß ich auch noch gute Dienste leisten konnte. Auch war denkbar,
daß sich das alte Verhältnis zum Fürsten wiederherstellte, indem
sich ein Charakter wie Aegidi mit seiner Strebergesinnung, seinem
quecksilbernen ÜUbereifer und seiner fast jüdischen Eitelkeit sich über
kurz oder lang unmöglich machen mußte. So blieb ich denn, ent-
sprach dem Wunsche des Herrn Rates, mit ihm in freundliche Be-
ziehung einzutreten, so gut es gehen wollte, verwahrte mich, als