Full text: Tagebuchblätter. Zweiter Band. (2)

288 Zweiundzwanzigstes Kapitel 9. Nov. 1871 
um sich bei uns zu verabschieden. Er geht nach Venedig und dann 
vermutlich weiter hinab in Italien, wo er bis zum Juli verbleiben 
will. Er sagte mir, daß er um seinen Abschied nachgesucht, aber 
nur einen halbjährigen Urlaub erhalten habe. 
Aegidi teilte mir mit, daß der Artikel „Aus Deutsch-ster— 
reich" im letzten Hefte der Preußischen Jahrbücher von ihm und 
„fast ganz nach Diktat von ? Dem obense geschrieben sei.“ Stetes 
Gackern nach jedem Ei. Der kleine Mann mit den großen Ro- 
sinen im Kopfe machte mich dann auf einen im Reichsanzeiger ab- 
gedruckten Bericht des Konsuls in Rio Janeiro über das Sklaven- 
gesetz aufmerksam, den er dem Blatte zugestellt habe, und bemerkte, 
er werde mit solchen Zuwendungen fortfahren und so aus ihm 
„ein großes politisches Organ machen.“ Ich sagte ihm, da werde 
er ein Wunder thun, zum Lahmen sagen: Stehe auf und wandle: 
ich glaube aber nicht, daß Wunder heutzutage noch passieren. Darauf 
er: „Ja, harte Tänze mit Dem oben wirds setzen, und ich habe 
deshalb schon welche gehabt wegen eines Artikels, den ich aus 
Konstantinopel datiert habe. Aber, ich will schon mit ihm fertig 
werden.“ Ich sagte nichts dazu, dachte aber: „Prosit die Mahlzeit, 
kleiner Gernegroß!“ Später hörte ich, daß er Abeken geklagt habe, 
Hahn habe in der Provinzialkorrespondenz seine Freude über die 
Abnahme des Deutschenhafses in Paris ausgedrückt. „Der sollte 
sich doch nicht mit auswärtiger Politik befassen,“ meinte er. Er 
wußte da augenscheinlich noch nicht, daß Abeken selbst den Artikel 
eingeblasen hatte. Eine Stunde nachher, wo er mir seinen Aufsatz 
in der Norddeutschen Allgemeinen Zeitung gegen die Provinzial- 
korrespondenz zur Lektüre empfahl, wollte er es gewußt und Abeken 
die Sache absichtlich zu Gehör gebracht haben. Vanitas, vanitatum 
vahitas! 
9. November. Auf mein Befragen gestand Aegidi, daß er den 
Inhalt eines Berichtes von Balan über das Brüsseler Ministerium 
und den Roi Jesuite der Sternschen Korrespondenz übersandt habe, 
wobei er behauptete, der Chef habe ihm gesagt, die Sache soll in 
ein Blatt kommen, das nicht für offiziös gelte. Nun hatte aber 
der schlaue kleine Herr gerade eine Korrespondenz gewählt, die hier 
überall für ganz eminent offiziös angesehen wird und dem Litte- 
rarischen Büreau zu Dörrs größtem Leidwesen Konkurrenz macht.
	        
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